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Das egoistische Gen

Titel: Das egoistische Gen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dawkins
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Zeit des Spiels zwischen Bristol und Coventry war die Begegnung, um einen zeitgenössischen Sportbericht zu zitieren, „schnell und häufig wütend“, ein erregender (wenn man so etwas mag) Schlag-auf-Schlag-Kampf. Einige glänzende Torschüsse von beiden Seiten hatten dafür gesorgt, daß das Spiel in der 80. Minute zwei zu zwei stand. Dann drang, zwei Minuten vor Spielende, die Nachricht vom anderen Spielfeld durch, daß Sunderland verloren hatte. Unverzüglich sorgte der Mannschaftskapitän von Coventry dafür, daß die Nachricht auf dem riesigen elektronischen Standanzeiger an einem Ende des Spielfeldes aufflammte. Offensichtlich waren alle 22 Spieler des Lesens mächtig, und sie begriffen alle, daß sie sich nun nicht mehr anzustrengen brauchten. Ein Unentschieden war alles, was jede der beiden Mannschaften brauchte, um vor dem Abstieg sicher zu sein. Sich anzustrengen, um Tore zu erzielen, wäre nun sogar eine eindeutig schlechte Taktik gewesen, denn es hätte Spieler von der Verteidigung abgezogen und dadurch das Risiko erhöht, tatsächlich zu verlieren – und schließlich doch noch abzusteigen. Beide Seiten waren eifrig darauf bedacht, ein Unentschieden sicherzustellen. Um dieselben Sportnachrichten zu zitieren: „Fans, die Sekunden zuvor, als Don Gillies in der 80. Minute ein Ausgleichstor für Bristol schoß, wütende Gegner gewesen waren, taten sich plötzlich zu gemeinsamer Feier zusammen. Schiedsrichter Ron Challis schaute hilflos zu, wie die Spieler den Ball herumschubsten und dabei den Spieler, der am Ball war, wenig oder gar nicht herausforderten.“ Was zuvor ein Nullsummenspiel gewesen war, war wegen einer Nachricht aus der Außenwelt plötzlich zu einem Nichtnullsummenspiel geworden. Es ist, als sei plötzlich durch Zauberkraft von außen eine „Bank“ erschienen, die es beiden, Bristol wie Coventry, möglich machte, von dem gleichen Resultat zu profitieren – einem Unentschieden.
    Zuschauerspiele wie Fußball sind normalerweise Nullsummenspiele, und das aus gutem Grund. Es ist für eine Menschenmenge weitaus erregender, Spieler zu beobachten, die verbissen gegeneinander kämpfen, als solche, die sich in aller Freundschaft gegenseitig gewähren lassen. Aber das wirkliche Leben, sowohl das menschliche als auch das der Tiere und Pflanzen, findet nicht für Zuschauer statt. Viele Situationen im wirklichen Leben entsprechen in der Tat Nichtnullsummenspielen. Die Natur spielt häufig die Rolle der „Bank“, daher kann ein Individuum vom Erfolg des anderen profitieren und umgekehrt. Man braucht keine Rivalen zugrunde zu richten, um selbst erfolgreich zu sein. Ohne von den grundlegenden Gesetzen des egoistischen Gens abzugehen, erkennen wir, wie Zusammenarbeit und wechselseitige Hilfe selbst in einer im wesentlichen egoistischen Welt blühen und gedeihen können.
    Nun ist deutlich, auf welche Weise (in Axelrods Sinne) nette Kerle als erste ans Ziel gelangen können.
    Aber dies alles funktioniert nicht, solange das Spiel nicht wiederholt   wird. Die Spieler müssen wissen (oder „wissen“), daß das gegenwärtig stattfindende Spiel nicht das letzte zwischen ihnen ist. In Axelrods eindringlicher Sprache ausgedrückt, heißt das: Der „Schatten der Zukunft“ muß lang sein. Aber wie lang? Er kann nicht unendlich lang sein. Theoretisch gesehen kommt es nicht darauf an, wie lang das Spiel ist; wichtig ist, daß keiner der Spieler wissen sollte, wann es endet. Nehmen wir an, der Leser und ich spielten gegeneinander, und nehmen wir weiter an, wir wüßten beide, daß das Spiel genau 100 Runden dauern soll. Nun ist uns beiden klar, daß die 100. Runde, da sie die letzte ist, einem einfachen einmaligen Gefangenendilemma entspricht. Daher ist in der 100. Runde die einzig vernünftige Strategie für jeden von uns beiden Zusammenarbeit verweigern,   und wir können beide davon ausgehen, daß der andere Spieler zu demselben Ergebnis kommen und entschlossen sein wird, in der letzten Runde die Zusammenarbeit zu verweigern.
    Die letzte Runde kann daher als vorhersehbar abgeschrieben werden. Nun aber wird die 99. Runde gleichbedeutend mit einem einzigen Spiel, und die einzig vernünftige Wahl für jeden Spieler in diesem vorletzten Spiel ist ebenfalls Zusammenarbeit verweigern.   Die 98. Runde unterliegt demselben Gedankengang – und so weiter. Zwei strikt vernünftige Spieler, von denen jeder davon ausgeht, daß der andere sich ebenfalls strikt rational verhält, können nichts anderes tun, als die

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