Das egoistische Gen
Schnecke keinen Gefallen, es sei denn, er trägt die ökonomischen Kosten der dickeren Wand.
Und wir können ohne großes Risiko wetten, daß er nicht so großzügig ist. Der Saugwurm übt irgendeinen versteckten chemischen Einfluß auf die Schnecke aus, der diese zwingt, auf ihre eigene „bevorzugte“ Schalendicke zu verzichten. Dies mag das Leben der Schnecke verlängern. Aber es hilft ihren Genen nicht weiter.
Was hat der Saugwurm davon? Warum tut er das? Ich vermute folgendes: Unter sonst gleichen Voraussetzungen haben sowohl Schneckengene als auch Saugwurmgene einen Vorteil vom Überleben des Schneckenkörpers. Aber Überleben ist nicht dasselbe wie Reproduktion, und es ist wahrscheinlich, daß es einen Kompromiß gibt. Während Schneckengene von der Fortpflanzung der Schnecke profitieren, tun Saugwurmgene dies nicht. Ein Saugwurm kann nicht erwarten, daß seine Gene in den Nachkommen seines gegenwärtigen Wirts beherbergt sein werden. Natürlich wäre es möglich, aber ebenso möglich wäre es für die Gene aller seiner Saugwurmrivalen.
Wenn die Langlebigkeit der Schnecke tatsächlich mit einem geringeren Fortpflanzungserfolg erkauft werden muß, sind die Saugwurmgene „glücklich“, die Schnecke diese Kosten zahlen zu lassen, da sie keinerlei Interesse daran haben, daß die Schnecke sich fortpflanzt. Die Schneckengene sind ganz und gar nicht glücklich, diese Kosten tragen zu müssen, da langfristig ihre Zukunft davon abhängt, daß die Schnecke sich fortpflanzt. Daher mutmaße ich, daß die Saugwurmgene einen Einfluß auf die schalenbildenden Zellen der Schnecke ausüben, und zwar einen Einfluß, der ihnen selbst Vorteile bringt, die Schneckengene aber teuer zu stehen kommt. Diese Theorie läßt sich testen, was bisher allerdings noch nicht geschehen ist.Wir sind jetzt in der Lage, das am Beispiel der Köcherfliegen Gelernte zu verallgemeinern. Wenn meine Annahme über die Saugwurmgene richtig ist, dürfen wir behaupten, daß Schneckenkörper in genau demselben Sinne von Saugwurmgenen beeinflußt werden wie von Schneckengenen. Es ist, als reichten die Gene aus ihren „eigenen“ Körpern heraus und manipulierten die Außenwelt. Wie im Falle der Köcherfliegen ist diese Sprache für Genetiker möglicherweise beunruhigend.
Sie sind daran gewöhnt, daß die Wirkungen eines Gens auf den Körper begrenzt sind, in dem es sitzt. Aber wiederum wie im Fall der Köcherfliegen zeigt ein genauerer Blick darauf, was Genetiker überhaupt mit den „Effekten“ eines Gens meinen, daß eine solche Beunruhigung fehl am Platze ist. Wir brauchen lediglich zu akzeptieren, daß die Veränderung in der Schnecke eine Anpassung des Saugwurms ist. Wenn sie das ist, muß sie durch die natürliche Selektion von Saugwurmgenen entstanden sein. Wir haben gezeigt, daß die phänotypischen Auswirkungen eines Gens sich nicht nur auf unbelebte Objekte wie Steine, sondern auch auf „andere“ lebendige Körper ausdehnen können.
Die Geschichte der Schnecken und Saugwürmer ist erst der Anfang. Man kennt seit langem Parasiten aller Typen, die faszinierend tückische Einflüsse auf ihre Wirte ausüben. Eine mikroskopisch kleine Protozoenart namens Nosema, die die Larven von Mehlkäfern parasitiert, hat „entdeckt“, wie sie eine chemische Verbindung herstellen kann, die für die Käfer sehr wichtig ist. Wie bei anderen Insekten gibt es auch bei diesen Käfern ein Hormon, das als Juvenilhormon bezeichnet wird und dafür sorgt, daß Larven Larven bleiben. Die normale Umwandlung von der Larve in den erwachsenen Käfer wird dadurch ausgelöst, daß die Larve aufhört, das Juvenilhormon zu produzieren. Dem Parasiten Nosema ist es gelungen, dieses Hormon (genaugenommen eine sehr ähnliche Verbindung) zu synthetisieren. Millionen von Nosema bemühen sich zusammen um die Massenproduktion dieses Juvenilhormons im Körper der Käferlarve und verhindern damit, daß die Larve sich in einen Käfer verwandelt. Statt dessen wächst sie weiter und wird schließlich zu einer Riesenlarve mit dem doppelten Gewicht eines normalen erwachsenen Käfers. Das ist für die Fortpflanzung von Käfergenen von keinerlei Nutzen, aber ein Füllhorn für den Parasiten Nosema. Der Riesenwuchs der Käferlarven ist ein erweiterter phänotypischer Effekt der Protozoengene.
Und nun eine Fallgeschichte, die noch stärker an unbewußte Ängste rührt als die der Peter-Pan-Käfer: Kastration durch einen Parasiten! Krabben werden von einem Geschöpf namens
Weitere Kostenlose Bücher