Das egoistische Gen
Vielleicht gibt es auch Gene, die ganz aus den „richtigen Kanälen“ – über Spermium oder Ei – ausgebrochen sind und sich den Weg über eine Nebenroute gebahnt haben.
Es gibt DNA-Fragmente, die nicht in Chromosomen eingeschlossen sind, sondern frei im flüssigen Zellinhalt herumschwimmen und sich dort vermehren, besonders in Bakterienzellen. Sie sind unter verschiedenen Namen bekannt, etwa als Viroide oder Plasmide. Ein Plasmid ist sogar noch kleiner als ein Virus, und es besteht gewöhnlich nur aus ein paar Genen.
Einige Plasmide sind in der Lage, sich nahtlos in ein Chromosom zu integrieren. Die Verbindungsstelle ist so glatt, daß man die Naht nicht sehen kann; das Plasmid ist von jedem anderen Teil des Chromosoms nicht mehr zu unterscheiden. Dieselben Plasmide können auch wieder aus dem Chromosom aussteigen. Diese Fähigkeit der DNA, sich herauszuschneiden und einzufügen, im Handumdrehen in Chromosomen hinein- und aus ihnen herauszuspringen, gehört zu den besonders aufregenden unter den Tatsachen, die seit Erscheinen der ersten Auflage dieses Buches entdeckt worden sind. In der Tat lassen sich die neuen Erkenntnisse über Plasmide als eindrucksvolle unterstützende Beweise für die Mutmaßungen ansehen, die ich in Kapitel 10 anstellte und die, als ich sie damals niederschrieb, ein wenig weit hergeholt erschienen. Unter einer Reihe von Gesichtspunkten kommt es nicht wirklich darauf an, ob diese Fragmente als eindringende Parasiten oder ausbrechende Rebellen entstanden. Ihr voraussichtliches Verhalten ist dasselbe. Befassen wir uns etwas näher mit einem ausbrechenden Fragment, um deutlich zu machen, was ich meine.
Stellen wir uns ein rebellierendes Stück menschlicher DNA vor, das in der Lage ist, sich aus seinem Chromosom hinauszuschneiden, das frei in der Zelle treibt, sich vielleicht vermehrt, bis viele Kopien von ihm existieren, und sich dann in ein anderes Chromosom integriert. Welche unorthodoxen alternativen Wege in die Zukunft könnte ein solcher rebellierender Replikator ausbeuten ? Wir verlieren fortwährend Zellen unserer Haut! Ein Großteil des Staubs in unseren Wohnungen besteht aus unseren abgestoßenen Zellen. Wir atmen wahrscheinlich auch ständig Zellen anderer Menschen ein. Wenn wir mit dem Fingernagel über die Innenseite unseres Mundes fahren, bleiben Hunderte von lebenden Zellen daran hängen. Küsse und Zärtlichkeiten von Liebenden dürften große Mengen von Zellen in beide Richtungen transportieren. Ein Stück rebellierender DNA könnte jede dieser Zellen als Mitfahrgelegenheit benutzen. Falls Gene eine Ritze entdecken sollten, die ihnen Zugang zu einem unorthodoxen Weg in einen anderen Körper verschafft (neben oder anstelle der normalen Route über Spermien beziehungsweise Eizellen), so müssen wir erwarten, daß die natürliche Auslese ihren Opportunismus fördern und verbessern würde. Was ihre genauen Methoden anbelangt, so gibt es keinen Grund, warum diese auf irgendeine Weise anders sein sollten als die Erfindungen von Viren, die vor dem Hintergrund der Theorie vom egoistischen Gen und erweiterten Phänotyp nur allzu vorhersagbar sind.
Wenn wir Schnupfen oder Husten haben, betrachten wir die Symptome gewöhnlich als ärgerliche Nebenprodukte der Virentätigkeit. In einigen Fällen scheint es jedoch wahrscheinlicher, daß sie von dem Virus absichtlich hervorgerufen werden, um ihm bei seiner Reise von einem Wirt zum anderen helfen.
Nicht zufrieden damit, einfach in die Atmosphäre hinausgeatmet zu werden, bringt das Virus uns zum Niesen oder explosionsartigen Husten. Das Tollwutvirus wird im Speichel übertragen, wenn ein Tier das andere beißt. Bei Hunden äußert sich die Krankheit unter anderem darin, daß normalerweise friedliche und freundliche Tiere zu wütenden Beißern mit Schaum vor dem Maul werden. Normale Hunde entfernen sich meist nicht weiter als etwa einen Kilometer von ihrem Wohnort; tollwutinfizierte Tiere werden verhängnisvollerweise zu ruhelosen Wanderern und verbreiten das Virus in weitem Umkreis. Es wurde sogar der Gedanke geäußert, daß das bekannte Symptom der Wasserscheu den Hund dazu veranlaßt, den nassen Schaum von der Schnauze zu schütteln – und damit das Virus. Mir sind keine Beweise dafür bekannt, daß sexuell übertragbare Krankheiten den Geschlechtstrieb beim Menschen verstärken, doch ich vermute, es wäre der Mühe wert, sich näher mit dieser Frage zu befassen. Mit Sicherheit soll zumindest ein angebliches Aphrosidiakum, die
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