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Das egoistische Gen

Titel: Das egoistische Gen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dawkins
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den Eiern etwa von Wiesenpiepern oder Rohrsängern (verschiedene Rassen von Kuckucksweibchen spezialisieren sich auf verschiedene Wirtsarten) täuschen lassen. Schwerer zu verstehen ist das Verhalten, das Pflegeeltern später den jungen Kuckukken gegenüber an den Tag legen, die fast flügge sind. Der Kukkuck ist gewöhnlich viel größer, mitunter sogar auf groteske Weise größer als seine „Eltern“. Vor mir liegt die Fotografie einer ausgewachsenen Heckenbraunelle, die im Verhältnis zu ihrem monströsen Pflegekind so klein ist, daß sie sich zum Füttern auf dessen Rücken niederlassen muß. Hier empfinden wir weniger Sympathie für den Wirt. Wir wundern uns über seine Dummheit, seine Leichtgläubigkeit. Jeder Dummkopf sollte doch wohl in der Lage sein zu merken, daß mit einem solchen Kind etwas nicht stimmt.
    Ich meine, junge Kuckucke müssen eine ganze Menge mehr tun als nur ihre Wirte „täuschen“, mehr als nur vorgeben, etwas zu sein, das sie nicht sind. Sie scheinen auf ziemlich dieselbe Weise auf das Nervensystem des Wirtes einzuwirken wie eine süchtig machende Droge. Dies ist nicht so schwer nachzufühlen, selbst für jene nicht, die keine Erfahrung mit abhängig machenden Drogen haben. Ein Mann kann von einer gedruckten Fotografie des Körpers einer Frau bis zur Erektion erregt werden. Er wird nicht „getäuscht“, nicht glauben gemacht, das Muster der Druckfarbe sei tatsächlich eine Frau.
    Er weiß, daß er nur Farbe auf Papier sieht, doch sein Nervensystem reagiert darauf genauso, wie es auf eine wirkliche Frau reagieren würde. Wir können sehr wohl die Reize eines bestimmten Angehörigen des anderen Geschlechts unwiderstehlich finden, obwohl das sichere Urteil unseres besseren Ich uns sagt, daß eine Liaison mit jener Person langfristig in niemandes Interesse liegt. Das gleiche kann auf die unwiderstehliche Anziehungskraft ungesunder Nahrungsmittel zutreffen.
    Die Heckenbraunelle besitzt wahrscheinlich keine bewußte Kenntnis ihrer langfristig besten Interessen, deshalb ist es sogar noch leichter zu verstehen, daß ihr Nervensystem bestimmte Arten von Stimulation unwiderstehlich finden kann.
    So lockend ist der aufgesperrte Schnabel eines Jungkukkucks mit seinem roten Rachen, daß Ornithologen nicht selten Vögel beobachten, die Nahrung in den Schnabel eines Kukkucks fallen lassen, der in einem fremden Nest sitzt! Es kann vorkommen, daß ein Vogel, der mit Nahrung für seine eigenen Jungen nach Hause fliegt, plötzlich aus dem Augenwinkel den roten Superrachen eines jungen Kuckucks im Nest eines Vogels einer völlig anderen Art sieht. Er wird zu dem fremden Nest umgelenkt, wo er die Nahrung, die für seine eigenen Jungen bestimmt war, in den Schnabel des Kuckucks fallen läßt. Die „Unwiderstehlichkeitstheorie“ stimmt mit den Ansichten früher deutscher Ornithologen überein, die von Pflegeeltern sagten, sie verhielten sich wie „Süchtige“, und die die Kuckucksnestlinge als deren „Laster“ bezeichneten. Ehrlicherweise sollte man hinzufügen, daß diese Art der Sprache bei einigen modernen Experimentatoren auf recht geringe Sympathie stößt. Zweifellos wird es jedoch sehr viel leichter, die eben beschriebenen Beobachtungen zu erklären, wenn wir den offenen Schnabel des Kuckucks tatsächlich als einen machtvollen drogenähnlichen Superstimulus ansehen. Es wird leichter, Sympathie mit dem Verhalten des winzigen Altvogels zu empfinden, der auf dem Rücken seines monströsen Kindes steht. Er ist nicht dumm. Sein Nervensystem wird getäuscht, und zwar so unwiderstehlich, als sei er ein hilfloser Drogenabhängiger oder als sei der Kuckuck ein Wissenschaftler, der Elektroden in sein Gehirn stöpselt.
    Doch selbst wenn wir jetzt eine größere persönliche Sympathie für die manipulierten Pflegeeltern empfinden, können wir immer noch fragen, warum die natürliche Auslese es dem Kukkuck erlaubt, sich ungestraft so zu verhalten. Warum haben die Nervensysteme der Wirte keine Resistenz gegen die Droge des roten Rachens entwickelt? Vielleicht hat die Selektion noch keine Zeit gehabt, ihre Arbeit zu tun. Vielleicht parasitieren die Kuckucke ihre gegenwärtigen Wirte erst seit einigen hundert Jahren und werden in ein paar Jahrhunderten gezwungen sein, sie wieder aufzugeben und sich andere Arten als Opfer zu suchen. Es gibt einige Hinweise, die diese Theorie stützen. Ich kann mich jedoch des Gefühls nicht erwehren, daß hier noch mehr im Spiel sein muß.
    Im evolutionären „Wettrüsten“

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