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Das egoistische Gen

Titel: Das egoistische Gen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dawkins
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zwischen den Kuckucken und allen ihren Wirtsarten besteht eine Art eingebaute Ungerechtigkeit, die sich aus den ungleichen Kosten für Versagen ergibt. Jeder Kuckucksnestling stammt von einer langen Reihe von Kuckucksnestlingen ab, von denen jeder einzelne seine Pflegeeltern erfolgreich manipuliert haben muß. Jeder Jungkuckuck, der, wenn auch nur vorübergehend, die Kontrolle über seinen Wirt verlor, ist als Folge dessen gestorben. Die einzelnen Pflegeeltern dagegen stammen von einer langen Reihe von Vorfahren ab, von denen viele niemals in ihrem Leben auf einen Kuckuck getroffen sind. Und selbst jene, die wirklich einmal einen Kuckuck in ihrem Nest vorfanden, konnten der Verlockung, ihn zu pflegen, erliegen und dennoch weiterleben, um in der nächsten Paarungszeit eine andere Brut aufzuziehen. Der entscheidende Punkt ist, daß die Kosten für Versagen eine Asymmetrie aufweisen. Gene für das Versagen, der Versklavung durch Kuckucke zu widerstehen, können von Rotkehlchen und Heckenbraunellen leicht über die Generationen hinweg weitergegeben werden. Gene für das Versagen, Pflegeeltern zu versklaven, können nicht über Generationen von Kuckucken weitergereicht werden. Das ist es, was ich mit „eingebauter Ungerechtigkeit“ und „Asymmetrie in den Kosten für Versagen“ gemeint habe. Das Prinzip wird in einer von Äsops Fabeln zusammengefaßt: „Das Kaninchen läuft schneller als der Fuchs, denn das Kaninchen läuft um sein Leben, während der Fuchs nur um seine Mahlzeit läuft.“ Mein Kollege John Krebs und ich haben dies das „Leben/Mahlzeit-Prinzip“ getauft.
    Wegen des Leben/Mahlzeit-Prinzips ist es möglich, daß sich Tiere, die von einem anderen Tier manipuliert werden, gelegentlich auf eine Weise verhalten, die für sie selbst nicht von Vorteil ist. Tatsächlich handeln sie in gewissem Sinne sehr wohl zu ihrem eigenen Besten: Die ganze Bedeutung des Leben/Mahlzeit-Prinzips liegt darin, daß die Tiere sich theoretisch gegen die Manipulation wehren könnten, daß es jedoch zu teuer wäre, dies zu tun. Vielleicht brauchte man, um der Manipulation durch einen Kuckuck zu widerstehen, größere Augen oder ein größeres Gehirn, was allgemeine Kosten mit sich bringen würde. Rivalen mit einer genetischen Tendenz, der Manipulation zu widerstehen, wären wegen der ökonomischen Kosten des Widerstands weniger erfolgreich bei der Weitergabe ihrer Gene.
    Aber wir sind wieder einmal rückfällig geworden und betrachten das Leben vom Standpunkt des Einzelorganismus und nicht von dem seiner Gene. Als wir über Saugwürmer und Schnecken sprachen, gewöhnten wir uns an die Vorstellung, daß die Gene eines Parasiten auf genau dieselbe Weise phänotypische Auswirkungen auf den Körper des Wirtes haben könnten, wie die Gene irgendeines Tieres phänotypische Auswirkungen auf dessen „eigenen“ Körper haben. Wir zeigten, daß schon die Idee eines „eigenen“ Körpers falsch ist. In gewissem Sinne sind alle Gene in einem Körper „parasitär“, ob wir sie nun als „körpereigene“ Gene bezeichnen wollen oder nicht.
    Die Kuckucke dienten in unseren Überlegungen als Beispiel für Parasiten, die nicht im Körper ihrer Wirte leben. Sie manipulieren ihre Wirte auf ziemlich genau dieselbe Weise wie im Wirt lebende Parasiten, und die Manipulation kann, wie wir gesehen haben, so stark und unwiderstehlich sein wie eine Droge oder ein Hormon. Wie im Fall der im Körper lebenden Parasiten sollten wir nun die ganze Angelegenheit im Sinne von Genen und erweiterten Phänotypen neu formulieren.
    Im evolutionären Wettrüsten zwischen Kuckucken und Wirten nahmen Fortschritte auf beiden Seiten die Form genetischer Mutationen an, die entstanden und von der natürlichen Auslese gefördert wurden. Was auch immer das Geheimnis des aufgesperrten Kuckucksschnabels ist, der wie eine Droge auf das Nervensystem des Wirtes wirkt, es muß als genetische Mutation entstanden sein. Diese Mutation wirkte über ihren Effekt auf, sagen wir, Farbe und Form des Kuckucksrachens.
    Aber selbst dies war nicht ihr unmittelbarer Effekt. Unmittelbar wirkte sie auf unsichtbare chemische Abläufe im Innern von Zellen. Der Effekt, den Gene auf Farbe und Form des Rachens haben, ist selbst indirekt. Und nun der entscheidende Punkt: Nur ein wenig indirekter ist der Effekt derselben Kukkucksgene auf das Verhalten des betörten Wirtes. In genau demselben Sinne, wie wir davon sprechen können, daß Kukkucksgene (phänotypische) Auswirkungen auf Farbe und Form

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