Das egoistische Gen
Spanische Fliege, dadurch wirken, daß es einen Juckreiz erzeugt ... Und wenn Viren Husten oder Niesen hervorrufen können, warum dann nicht auch einen Juckreiz?
Worauf ich bei diesem Vergleich von rebellierender menschlicher DNA mit einfallenden parasitären Viren hinauswill, ist, daß zwischen beiden kein wirklich bedeutender Unterschied besteht. Ja, es ist in der Tat gut möglich, daß Viren als Ansammlungen von ausgebrochenen Genen entstanden sind. Wenn wir überhaupt eine Unterscheidung treffen wollen, so sollte es die sein zwischen Genen, die auf dem orthodoxen Wege, also in Spermien oder Eizellen, von einem Körper zum anderen gelangen, und Genen, die ungewöhnliche „Nebenwege“ einschlagen. Zu beiden Gruppen können sowohl Gene gehören, die als „körpereigene“ chromosomale Gene entstanden sind, als auch Gene, die ursprünglich körperfremde, eindringende Parasiten waren. Oder vielleicht, wie ich in Kapitel 10 spekuliert habe, sollten alle „eigenen“ chromosomalen Gene als wechselseitig parasitär angesehen werden. Der entscheidende Unterschied zwischen meinen beiden Klassen von Genen liegt in den unterschiedlichen Umständen, von denen sie wahrscheinlich in der Zukunft profitieren werden. Ein Gen des Erkältungsvirus und ein ausgebrochenes menschliches chromosomales Gen stimmen miteinander darin überein, daß sie ihren Wirt zum Niesen bringen „wollen“. Ein orthodoxes chromosomales Gen und ein sexuell übertragbares Virus sind sich in dem Wunsch einig, daß ihr Wirt kopuliert. Es ist ein faszinierender Gedanke, daß beide darauf aus sein könnten, daß der Wirt sexuell attraktiv ist. Außerdem wären sich ein chromosomales Gen und ein Virus, das im Ei des Wirtes übertragen wird, in dem Wunsch einig, daß der Wirt nicht nur in seiner Brautwerbung, sondern auch in jedem anderen Aspekt seines Lebens erfolgreich ist, bis hin zu dem Punkt, daß er ein zuverlässiger, hingebungsvoller Vater und sogar Großvater ist.
Die Köcherfliegenlarve lebt in ihrem Gehäuse, und die Parasiten, von denen ich bisher gesprochen habe, leben in ihren Wirten. Die Gene befinden sich somit physisch in der Nähe ihrer erweiterten phänotypischen Effekte, so nahe, wie Gene gewöhnlich ihren herkömmlichen Phänotypen sind. Doch Gene können auch auf Entfernung wirken; erweiterte Phänotypen können sehr ausgedehnt sein. Einer der längsten, die mir einfallen, überspannt einen See. Wie das Spinnennetz oder das Gehäuse der Köcherfliege gehört der Biberdamm zu den wahren Wundern der Welt. Es ist nicht völlig klar, was sein evolutionärer Zweck ist, aber er hat mit Sicherheit einen, da die Biber soviel Zeit und Energie auf seinen Bau verwenden.
Der See, den er erzeugt, dient wahrscheinlich dem Schutz des Biberbaus gegen Räuber. Er bildet außerdem einen bequemen Wasserweg zum Reisen und zum Transport von Ästen.
Die Biber wenden diese Technik aus demselben Grund an, aus dem kanadische Holzgesellschaften Flüsse benutzen und die Kohlenhändler des 18. Jahrhunderts Kanäle befuhren. Was auch immer sein Nutzen ist, ein Bibersee ist ein auffallender und charakteristischer Landschaftsbestandteil. Er gehört zum Phänotyp des Bibers, nicht weniger als dessen Zähne oder Schwanz, und er hat sich im Laufe der Evolution unter dem Einfluß der natürlichen Auslese entwickelt. Die Wahl muß dabei zwischen guten Seen und weniger guten Seen getroffen worden sein. Die Auslese begünstigte Bibergene, die gute Seen zum Transport von Bäumen erzeugten, genau wie sie Gene förderte, die für gute Zähne zum Fällen von Bäumen sorgten.
Biberseen sind erweiterte phänotypische Effekte von Bibergenen, und sie können sich über mehrere hundert Meter erstrecken. In der Tat eine große Reichweite!
Auch Parasiten brauchen nicht im Innern ihrer Wirte zu leben; ihre Gene können über eine Entfernung hinweg in Wirten zum Ausdruck kommen. Kuckucksnestlinge leben nicht im Innern von Rotkehlchen oder Rohrsängern; sie saugen nicht ihr Blut oder verschlingen ihr Gewebe, und doch zögern wir nicht im mindesten, sie als Parasiten zu bezeichnen. Kuckucksadaptationen zum Manipulieren des Verhaltens der Pflegeeltern können als erweiterter phänotypischer Effekt der Kukkucksgene angesehen werden, der auf Entfernung wirksam wird.
Es ist leicht, Mitgefühl mit Pflegeeltern zu haben, die von dem Kuckuck so getäuscht werden, daß sie seine Eier ausbrüten. Auch menschliche Eiersammler haben sich von der ungeheuren Ähnlichkeit von Kuckuckseiern mit
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