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Das egoistische Gen

Titel: Das egoistische Gen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dawkins
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Engpaß im Lebenszyklus hat eine zweite Konsequenz, die damit im Zusammenhang steht. Er liefert einen „Kalender“, der dazu benutzt werden kann, die Vorgänge der Embryonalentwicklung zu regulieren. Bei einem Lebenszyklus mit Engpaß marschiert jede neue Generation durch ungefähr dieselbe Abfolge von Ereignissen. Der Organismus beginnt als eine einzelne Zelle. Er wächst durch Zellteilung. Und er reproduziert sich, indem er Tochterzellen aussendet. Vermutlich stirbt er irgendwann, aber das ist weniger wichtig, als es uns Sterblichen vorkommt; soweit es diese Erörterung betrifft, ist das Ende eines Zyklus erreicht, wenn der gegenwärtige Organismus sich reproduziert und der Zyklus einer neuen Generation beginnt. Obgleich sich der Organismus theoretisch zu jedem beliebigen Zeitpunkt seines Lebens vermehren könnte, erwarten wir, daß irgendwann einmal ein optimaler Zeitpunkt zur Reproduktion eintreten sollte. Organismen, die Sporen aussenden, wenn sie zu jung oder zu alt sind, haben am Ende gewöhnlich weniger Nachkommen als Rivalen, die sich erst zu voller Stärke entwickeln und dann auf dem Höhepunkt ihres Lebens eine gewaltige Zahl an Sporen abstoßen.
    Unser Gedankengang bewegt sich auf die Vorstellung von einem stereotypen, regelmäßig wiederholten Lebenszyklus zu. Jede Generation beginnt nicht nur mit einem einzelligen Engpaß, sie hat auch eine Wachstumsphase – „Kindheit“ – von ziemlich feststehender Dauer. Diese Stereotypie der Wachstumsphase macht es möglich, daß bestimmte Dinge zu bestimmten Zeiten während der Embryonalentwicklung geschehen, als seien sie von einem streng eingehaltenen Kalender geregelt.
    Die Zellteilungen während der Entwicklung erfolgen in – je nach Art des Organismus mehr oder weniger – strenger Reihenfolge, einer Reihenfolge, die bei jeder Wiederholung des Lebenszyklus wieder auftritt. Jede Zelle hat ihren eigenen Platz und ihren eigenen Entstehungstermin in der Abfolge der Zellteilungen. Nebenbei gesagt ist dieser Ablauf bei manchen Organismen so genau festgelegt, daß die Embryologen jeder Zelle einen Namen geben können und daß man einer bestimmten Zelle in einem Individuum ein genaues Gegenstück in einem anderen Individuum zuordnen kann.
    Auf diese Weise stellt der stereotypisierte Wachstumszyklus eine Uhr oder einen Kalender dar, mit dessen Hilfe Ereignisse in der Embryonalentwicklung ausgelöst werden können. Denken wir daran, wie bereitwillig wir Menschen die Zyklen der täglichen Erdrotation und den jährlichen Umlauf der Erde um die Sonne dazu benutzen, unserem Leben Struktur und Ordnung zu geben. Auf dieselbe Weise werden – es scheint fast unvermeidlich – die von einem Engpaß-Lebenszyklus erzwungenen endlos wiederholten Wachstumsrhythmen dazu benutzt, die Embryonalentwicklung zu ordnen und zu strukturieren.
    Spezifische Gene können zu bestimmten Zeiten an- und abgeschaltet werden, denn der Engpaß/Wachstumszyklus-Kalender garantiert, daß es so etwas wie eine bestimmte Zeit gibt.   Solche gut angepaßten Regulationen der Genaktivität sind eine notwendige Voraussetzung für die Evolution von embryonalen Entwicklungsprogrammen, die komplexe Gewebe und Organe zu fertigen in der Lage sind. So komplizierte, präzise arbeitende Organe wie ein Adlerauge oder ein Schwalbenflügel könnten unmöglich entstehen, wenn es nicht uhrwerkartige Regeln dafür gäbe, wann mit dem Bau welches Teiles zu beginnen ist.
    Die dritte Konsequenz einer Engpaß-Lebensgeschichte ist genetischer Natur. Auch hier hilft uns das Beispiel von Engpaßtang und Wucheralgen. Nehmen wir der Einfachheit halber wieder an, daß beide Arten sich ungeschlechtlich fortpflanzen, und überlegen wir, wie sie sich durch Evolution entwickeln könnten. Die Evolution benötigt genetische Veränderungen, Mutationen. Mutationen können während jeder Zellteilung eintreten. Bei den Wucheralgen sind die Abstammungslinien der Zellen breit gefächert, genau das Gegenteil von engpaßartig. Jeder Zweig, der abbricht und davontreibt, ist vielzellig. Es ist daher gut möglich, daß zwei Zellen einer Tochterpflanze entferntere Verwandte sind, als jede von ihnen mit bestimmten Zellen der Elternpflanze verwandt ist. (Mit „Verwandten“ meine ich tatsächlich Vettern, Enkel und so weiter. Zellen haben eindeutige Abstammungslinien, und diese Linien verzweigen sich, so daß Bezeichnungen wie Vetter zweiten Grades auf die Zellen in einem Körper angewandt werden können, ohne daß man dafür um Entschuldigung

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