Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Das egoistische Gen

Titel: Das egoistische Gen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dawkins
Vom Netzwerk:
Termiten und Bienen.
    Oder nutzen sie vielleicht die konstante Temperatur aus, die bekanntlich eine typische Eigenschaft jedes guten Kellers darstellt? Auf alle Fälle könnten meine hypothetischen davonziehenden Individuen, anders als die unterirdisch arbeitenden, traditionelle „Warmblüter“ sein. Ist es vorstellbar, daß ein bereits bekanntes behaartes Säugetier, das bisher als eine völlig verschiedene Art klassifiziert worden ist, sich als die verlorene Kaste der Nacktmulle erweist?
    Schließlich gibt es entsprechende Präzedenzfälle. Wanderheuschrecken zum Beispiel leben normalerweise so einsam, versteckt und zurückgezogen, wie das für ihre Verwandten, die Heupferde, typisch ist. Aber unter gewissen Bedingungen kann sich ihre Lebensweise radikal – und katastrophal – ändern.
    Sie verlieren ihre Tarnfarbe und werden lebhaft gestreift. Man könnte dies beinahe als Warnung auffassen. Unbegründet wäre eine solche Warnung jedenfalls nicht, denn das Verhalten der Tiere ändert sich ebenfalls. Sie geben ihr Einsiedlerdasein auf und schließen sich zu Banden zusammen, und zwar mit bedrohlichem Resultat. Von den legendären biblischen Heuschreckenplagen bis zum heutigen Tag ist kein Tier als Zerstörer menschlichen Wohlstands derart gefürchtet worden.
    Wanderheuschrecken bilden Schwärme von Millionenstärke – Mähdrescher, die Dutzende von Kilometern breite Pfade dreschen, manchmal Hunderte von Kilometern pro Tag zurücklegen, täglich 2000 Tonnen Getreide verschlingen und eine Welle von Hunger und Zerstörung hinter sich zurücklassen.
    Und nun kommen wir zu der möglichen Analogie mit Nacktmullen. Der Unterschied zwischen einem einzelgängerischen Individuum und seiner schwarmbildenden Inkarnation ist nicht größer als der zwischen zwei Ameisenkasten. Außerdem galten, gerade wie wir für die „verlorene Kaste“ der Nacktmulle postuliert hatten, Solitär- und Schwarmform der Wanderheuschrecken bis 1921 als verschiedene Arten.
    Aber leider erscheint es nicht allzu wahrscheinlich, daß sich die Säugetierexperten bis zum heutigen Tag derart haben täuschen lassen. Übrigens sollte ich erwähnen, daß gelegentlich gewöhnliche, unveränderte Nacktmulle an der Oberfläche gesehen werden, und vielleicht reisen sie weiter, als man allgemein annimmt. Aber bevor wir die Spekulationen über „verwandelte Geschlechtstiere“ ganz aufgeben, läßt uns der Vergleich mit den Wanderheuschrecken an eine weitere Möglichkeit denken. Vielleicht bringen Nacktmulle ja tatsächlich verwandelte Geschlechtstiere hervor, allerdings nur unter bestimmten Bedingungen – und diese sind in den letzten Jahrzehnten nicht eingetreten. In Afrika und im Nahen Osten sind Heuschreckenplagen immer noch eine Bedrohung, genauso wie in biblischen Zeiten. Aber in Nordamerika liegen die Dinge anders. Auch dort gibt es einige Wanderheuschreckenarten. Dennoch sind, anscheinend weil die Bedingungen nicht die richtigen waren, in diesem Jahrhundert in Nordamerika keine Heuschreckenplagen aufgetreten. (Allerdings tauchen Zikaden, eine gänzlich andere Sorte von Schadinsekten, immer noch plötzlich und mit schöner Regelmäßigkeit in großen Schwärmen auf und werden verwirrenderweise in der amerikanischen Umgangssprache als „Wanderheuschrecken“ bezeichnet.) Nichtsdestoweniger wäre es nicht besonders überraschend, wenn heute in Amerika eine echte Wanderheuschreckenplage aufträte: Der Vulkan ist nicht erloschen, er schläft lediglich. Doch es wäre eine Überraschung – eine schlimme –, wenn wir keine schriftlich überlieferten historischen Zeugnisse und Informationen aus anderen Teilen der Welt besäßen, denn dann wären die Tiere in den Augen aller nichts als gewöhnliche, einzelgängerische, harmlose Grashüpfer. Was wäre, wenn die Nacktmulle wie die amerikanischen Wanderheuschrecken sind, darauf vorbereitet, eine andere, sich ausbreitende Kaste hervorzubringen, aber nur unter Bedingungen, die aus irgendeinem Grunde in diesem Jahrhundert nicht eingetreten sind? Im 19. Jahrhundert könnte Ostafrika von herumschwärmenden Plagen behaarter Nacktmulle heimgesucht worden sein, die wie Lemminge an der Oberfläche wanderten, ohne daß Berichte darüber bis heute erhalten geblieben wären. Oder sind sie vielleicht doch in den Legenden und Sagen von Eingeborenenstämmmen festgehalten?
     
    2 Die bemerkenswerte Genialität von Hamiltons Hypothese der „3/4-Verwandtschaft“, die er für den besonderen Fall der Hautflügler aufstellte,

Weitere Kostenlose Bücher