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Das egoistische Gen

Titel: Das egoistische Gen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dawkins
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gering qualifizierte Individuen dieselbe Strategie spielen, nämlich „Mache ehrliche Reklame“. Bei älteren Modellen setzte man voraus, daß hochqualifizierte Männchen andere Strategien anwenden als Männchen von niedriger Qualität und somit eine andere Reklame entwickeln. Dagegen geht Grafen davon aus, daß bei ESS die Unterschiede zwischen den hohe und niedrige Qualität signalisierenden Individuen deshalb entstehen, weil sie alle dieselbe Strategie benutzen – ihre unterschiedliche Reklame ergibt sich, weil ihre unterschiedliche Qualität durch die Signalisierungsregel wahrheitsgetreu kundgetan wird.
    Wir haben immer zugegeben, daß Signale in der Tat Handikaps sein können. Wir haben immer verstanden, daß durch die Evolution extreme Handikaps entstehen können, insbesondere als Konsequenz der geschlechtlichen Auslese, trotz der Tatsache, daß sie Handikaps sind. Der Teil von Zahavis Theorie, dem wir uns alle widersetzt haben, war der Gedanke, daß Signale von der Auslese gerade deshalb begünstigt werden könnten, weil sie Handikaps für die Signalisierenden sind. Daß dies zutrifft, hat Alan Grafen allem Anschein nach bewiesen.
    Wenn Grafen recht hat – und ich glaube, das ist der Fall –, so ist dieses Resultat von erheblicher Bedeutung für das gesamte Studium der Tiersignale. Es könnte sogar eine radikale Veränderung unserer ganzen Betrachtungsweise der Evolution des Verhaltens erforderlich machen, eine radikale Veränderung auch unserer Haltung zu vielen der in diesem Buch erörterten Fragen. Geschlechtliche Reklame ist lediglich eine Art der Reklame. Wenn die Zahavi-Grafen-Theorie zutrifft, so wird sie die Vorstellungen der Biologen über die Beziehungen zwischen Rivalen desselben Geschlechts, zwischen Eltern und Jungen sowie zwischen Feinden unterschiedlicher Arten völlig auf den Kopf stellen. Ich halte diese Aussicht für ziemlich beunruhigend, denn sie bedeutet, daß Theorien von fast unbegrenzter Verrücktheit nicht mehr beiseite geschoben werden können, nur weil sie dem gesunden Menschenverstand widersprechen.
    Wenn wir beobachten, wie ein Tier etwas wirklich Törichtes tut, etwa auf dem Kopf steht, statt vor einem Löwen davonzulaufen, so ist es möglich, daß es dies tut, um einem Weibchen zu imponieren. Vielleicht gibt es sogar vor dem Löwen an: „Ich bin ein Tier von solch hoher Qualität, daß du deine Zeit vergeuden würdest, wenn du versuchen solltest, mich zu fangen“.
    Aber so verrückt etwas in meinen Augen auch sein mag, die natürliche Auslese mag andere Vorstellungen darüber haben. Ein Tier wird im Angesicht eines geifernden Rudels von Räubern Rückwärtssaltos schlagen, wenn das damit verbundene Risiko die Reklame stärker steigert, als es den Anpreisenden in Gefahr bringt. Es ist gerade ihre Gefährlichkeit, die die Geste so imposant macht. Natürlich wird die natürliche Auslese nicht unbegrenzte Gefahr fördern. Sobald der Exhibitionismus eindeutig tollkühn wird, wird er bestraft werden.
    Eine riskante oder teure Leistung mag uns verrückt erscheinen. Aber unsere Meinung ist nicht gefragt. Nur die natürliche Auslese hat das Recht zu urteilen.

10. Kratz mir meinen Rücken, dann reite ich auf deinem!
    1 Zumindest dachten wir das damals. Aber wir hatten unsere Rechnung ohne die Nacktmulle gemacht. Nacktmulle sind eine Spezies haarloser, fast blinder kleiner Nagetiere, die in großen unterirdischen Kolonien in den Trockengebieten von Kenia, Somalia und Äthiopien leben. Sie scheinen echte „soziale Insekten“ der Säugetierwelt zu sein. Die bahnbrechenden Untersuchungen, die Jennifer Jarvis von der Universität Kapstadt an in Gefangenschaft lebenden Kolonien durchführte, sind jetzt durch die Feldstudien von Robert Brett in Kenia ergänzt worden; weitere Untersuchungen an in Gefangenschaft lebenden Kolonien werden in den USA von Richard Alexander und Paul Sherman durchgeführt. Diese vier Forscher haben ein gemeinsames Buch versprochen, dem zumindest ich mit großem Interesse entgegensehe. Die vorliegende Darstellung beruht auf der Lektüre der wenigen bereits erschienenen Publikationen und dem, was ich in den Forschungsvorlesungen von Paul Sherman und Robert Brett gehört habe.
    Außerdem hatte ich das Privileg, von dem damaligen Kurator der Säugetierabteilung des Londoner Zoos, Brian Bertram, die dortige Nacktmullekolonie gezeigt zu bekommen.
    Nacktmulle leben in weitverzweigten unterirdischen Gangsystemen. Typische Kolonien zählen 70 oder 80 Tiere, die Zahl der

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