Das egoistische Gen
Genetical Theory of Social Behaviour“ , ganze fünf Jahre vor der Veröffentlichung von Wilsons Buch. Wilson kann unmöglich meine Bibliographie aus dem Jahre 1970 gesehen haben. Es bestand kein Zweifel daran: Wilson und ich hatten unabhängig voneinander dasselbe mutante Mem eingeführt! Wie konnte es zu einer derartigen Koinzidenz kommen? Wieder einmal, wie im Fall von Auld Lang Syne, ist es nicht schwer, eine plausible Erklärung zu finden. R. A. Fishers bekanntestes Buch heißt The Genetical Theory of Natural Selection. Der Titel ist in der Welt der Evolutionsbiologen derart geläufig geworden, daß es schwer für uns ist, die ersten beiden Wörter zu hören, ohne automatisch das dritte hinzuzufügen. Ich vermute, daß sowohl Wilson als auch ich genau das getan haben. Dies ist ein glückliches Ende für alle Beteiligten, da es niemandem etwas ausmacht zuzugeben, von Fisher beeinflußt worden zu sein!
6 Es war offensichtlich voraussehbar, daß vom Menschen hergestellte elektronische Computer ebenfalls irgendwann den Wirt für sich selbst kopierende Informationsmuster – Meme – abgeben würden. Computer sind in zunehmendem Maße in komplizierte Netze gemeinsamer Information eingebunden.
Viele von ihnen stehen im elektronischen Briefverkehr und sind wortwörtlich miteinander verdrahtet. Andere teilen Informationen, wenn ihre Besitzer Disketten austauschen. Damit ist eine Umwelt entstanden, in der sich selbst kopierende Programme hervorragend gedeihen und sich verbreiten können.
Als ich an der ersten Auflage dieses Buches schrieb, war ich naiv genug anzunehmen, daß ein unerwünschtes Computer-Mem durch einen spontanen Fehler beim Kopieren eines lizenzierten Programms entstehen müsse, und hielt dies für ein unwahrscheinliches Ereignis. In der Tat, jene Zeit war eine Zeit der Unschuld. Heutzutage sind Epidemien von „Viren“ und „Würmern“, die von böswilligen Programmierern absichtlich losgelassen werden, bekannte Risiken für Computerbenutzer in der ganzen Welt. Mein eigener Computer ist, soweit ich weiß, im vergangenen Jahr während zweier verschiedener Virusepidemien infiziert worden, und das ist für Leute, die viel mit dem Computer arbeiten, eine ziemlich typische Erfahrung. Ich werde keinen Virus* In Medizin und Biologie wird im allgemeinen der sächliche Artikel verwendet („das Virus“), im Computerbereich hat sich hingegen die Bezeichnung „der Virus“ durchgesetzt.
beim Namen nennen, um nicht seinem niederträchtigen kleinen Schöpfer eine niederträchtige kleine Genugtuung zu verschaffen. Ich sage „niederträchtig“, denn das Verhalten eines solchen Menschen scheint mir moralisch gesehen nicht anders als das eines Technikers in einem mikrobiologischen Labor, der absichtlich das Trinkwasser infiziert und Epidemien sät, nur um sich über die Leute zu amüsieren, die krank werden. Ich sage „klein“, denn diese Leute sind geistig klein. Es ist nichts Schlaues daran, einen Computervirus zu erfinden. Jeder halbwegs kompetente Programmierer könnte das tun, und die Welt ist heute voll von halbwegs kompetenten Computerprogrammierern. Ich bin selbst einer. Und ich werde mir nicht einmal die Mühe machen, zu erklären, wie Computerviren funktionieren. Es ist nur zu offensichtlich.
Weniger einfach ist es herauszufinden, wie man sie bekämpfen kann. Leider mußten einige sehr erfahrene Programmierer ihre wertvolle Zeit darauf verschwenden, Programme zum Entdecken von Viren, Immunisierungsprogramme und so weiter zu schreiben (nebenbei gesagt ist die Ähnlichkeit mit der medizinischen Impfung erstaunlich groß, bis hin zur Eingabe einer „geschwächten Abart“ des Virus). Es besteht die Gefahr, daß sich ein Wettrüsten entwickeln wird, bei dem jeder Fortschritt in der Virenvorbeugung von Gegen-Fortschritten bei neuen Virusprogrammen ausgeglichen wird.
Bisher werden die meisten Anti-Virus-Programme von Altruisten geschrieben und gratis zur Verfügung gestellt. Doch ich sehe das Heranwachsen einer ganzen neuen Berufsklasse – die sich geradeso wie in jedem anderen Beruf in lukrative Spezialisierungen aufteilt – voraus: Software-Ärzte auf Hausbesuch mit schwarzen Taschen voller diagnostischer und heilender Disketten. Ich verwende die Bezeichnung „Ärzte“, aber wirkliche Ärzte lösen natürliche Probleme, die nicht absichtlich von menschlicher Bösartigkeit hervorgerufen wurden. Meine Software-Ärzte dagegen werden, wie Rechtsanwälte, menschengemachte Probleme lösen, die
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