Das egoistische Gen
Verhaltensweisen oder die aus diesem Verhaltenzu erschließenden gedanklichen oder intentionalenZustände hervorbringen ... Diese Position stimmt vollkommen – oder sollte es eigentlich tun – mit den vonWilson oder Dawkins vorgetragenen Prinzipien derSoziobiologie überein. Würden die beiden Autoren diese Position tatsächlich übernehmen, müßten sie das Dilemma bewältigen, daß sie einerseits weite Bereiche –gerade auch für sie als Liberale – unerfreulichen menschlichen Verhaltens (Gehässigkeit, Indoktrination und so weiter) als angeboren behaupten und andererseits sichin liberalethischen Skrupeln verstricken, wenn es umdie Feststellung der Verantwortlichkeit für kriminelle Handlungen geht – da diese doch wie alle anderenHandlungen biologisch determiniert sind. Um diesesProblem zu umgehen, reklamieren Wilson und Dawkinseinen freien Willen, der uns befähigt, wenn wir nurwollen, gegen das Diktat unserer Gene anzugehen.... Im wesentlichen bedeutet dies eine Rückkehr zumuneingeschränkten Kartesianismus und einem dualistischen deus ex machina .
Ich glaube, daß Rose und seine Kollegen uns anklagen, uns nicht für eines der beiden Dinge entscheiden zu können. Entweder müssen wir „genetische Deterministen“ sein, oder wir glauben an den „freien Willen“; wir können nicht beides haben.
Aber – und hier, nehme ich an, spreche ich genauso für Professor Wilson wie für mich selbst – wir sind nur in den Augen von Rose und seinen Kollegen „genetische Deterministen“. Sie verstehen nicht (so scheint es, obwohl es schwer zu glauben ist), daß es sehr wohl möglich ist, der Ansicht zu sein, daß Gene einen statistischen Einfluß auf menschliches Verhalten ausüben, und gleichzeitig zu glauben, daß dieser Einfluß durch andere Einflüsse verändert, außer Kraft gesetzt oder umgekehrt werden kann. Gene müssen einen statistischen Einfluß auf jedes Verhaltensmuster ausüben, das sich durch natürliche Auslese entwickelt. Vermutlich sind Rose und seine Kollegen mit mir darin einig, daß das sexuelle Verlangen beim Menschen mittels der natürlichen Auslese entstanden ist, auf dieselbe Weise, wie alles andere entsteht, das die Evolution hervorbringt. Sie müssen daher damit übereinstimmen, daß Gene das sexuelle Begehren beeinflußt haben – in demselben Sinne, in dem Gene auch alles andere beeinflussen. Doch sie haben vermutlich keine Schwierigkeiten damit, ihre sexuellen Wünsche zu kontrollieren, wenn dies gesellschaftlich erforderlich ist.
Was ist dualistisch daran? Offensichtlich gar nichts. Und ebensowenig dualistisch ist es, wenn ich zur Rebellion gegen „die Tyrannei der egoistischen Replikatoren“ aufrufe. Wir, das heißt unser Gehirn, sind ausreichend getrennt und unabhängig von unseren Genen, um gegen sie rebellieren zu können. Wie ich bereits sagte, tun wir dies immer dann im kleinen, wenn wir Empfängnisverhütung betreiben. Nichts spricht dagegen, uns auch im großen gegen unsere Gene aufzulehnen.
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Baldwin, B.
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