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Das egoistische Gen

Titel: Das egoistische Gen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dawkins
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vorzustellen und die Zelle als eine zweckmäßige Arbeitseinheit für die chemische Industrie der Gene.
    Mögen die Körper auch Kolonien von Genen sein, in ihrem Verhalten haben sie unleugbar eine eigene Individualität erworben. Ein Tier bewegt sich als ein koordiniertes Ganzes, als eine Einheit. Subjektiv empfinde ich mich als Einheit, nicht als Kolonie. Das ist zu erwarten. Die Selektion hat Gene begünstigt, die mit anderen zusammenarbeiten. In der Auseinandersetzung um knappe Ressourcen, im schonungslosen Kampf darum, andere Überlebensmaschinen zu fressen und zu verhindern, selbst gefressen zu werden, muß es eine Belohnung für die zentrale Koordination innerhalb des gemeinschaftlichen Körpers gegeben haben, nicht für Anarchie.
    Heutzutage ist die verwickelte, sich wechselseitig beeinflussende gemeinsame Evolution von Genen so weit fortgeschritten, daß die gemeinschaftliche Natur einer individuellen Überlebensmaschine nicht mehr zu erkennen ist. In der Tat erkennen viele Biologen sie nicht und werden mir nicht zustimmen.
    Zum Glück für die – wie Journalisten es nennen würden – „Glaubwürdigkeit“ des übrigen Buches ist diese Meinungsverschiedenheit weitgehend eine theoretische Angelegenheit.
    So wie es nicht zweckmäßig ist, über Quanten und Elementarteilchen zu reden, wenn wir die Funktionsweise eines Autos erörtern, ist es häufig ermüdend und unnötig, beständig die Gene heranzuziehen, wenn wir das Verhalten von Überlebensmaschinen diskutieren. In der Praxis ist es gewöhnlich zweckmäßig, den einzelnen Körper annäherungsweise als ein Subjekt zu betrachten, das die Zahl aller seiner Gene in zukünftigen Generationen zu vergrößern „sucht“. Ich werde mich einer zweckmäßigen Sprache bedienen. Solange nicht besonders vermerkt, bedeutet „selbstloses Verhalten“ und „selbstsüchtiges Verhalten“ dasjenige Verhalten, das ein Tierkörper einem anderen gegenüber an den Tag legt.
    Dieses Kapitel handelt vom Verhalten –   von der Kunst der raschen Bewegung, die sich hauptsächlich der tierische Zweig der Überlebensmaschinen zunutze gemacht hat. Die Tiere sind zu aktiven, draufgängerischen Genvehikeln geworden: zu Genmaschinen. Das charakteristische Merkmal des Verhaltens in dem Sinne, wie die Biologen den Ausdruck verwenden, ist seine Schnelligkeit. Auch Pflanzen bewegen sich, aber sehr langsam. In Zeitrafferfilmen sehen Kletterpflanzen wie emsige Tiere aus. Doch ein Großteil der Pflanzenbewegung ist in Wirklichkeit irreversibles Wachstum. Die Tiere dagegen haben Methoden entwickelt, mit denen sie sich mehrere hunderttausendmal schneller bewegen. Darüber hinaus sind ihre Bewegungen reversibel und unbegrenzt wiederholbar.
    Die Vorrichtung, welche die Tiere entwickelt haben, um rasche Bewegung zu erzielen, ist der Muskel. Muskeln sind Maschinen, die – wie die Dampfmaschine und der Verbrennungsmotor – in chemischem Kraftstoff gespeicherte Energie verwenden, um mechanische Bewegung zu erzeugen. Der Unterschied ist, daß die unmittelbare mechanische Kraft eines Muskels in Form von Spannung erzeugt wird und nicht in Form von Gasdruck wie bei den Dampfmaschinen und Verbrennungsmotoren. Doch Muskeln sind den Maschinen insofern ähnlich, als sie ihre Kraft häufig auf Seile und Hebel mit Gelenken ausüben. Die Hebel in uns sind unter dem Namen Knochen bekannt, die Seile heißen Sehnen, und die Gelenke bleiben Gelenke. Man weiß einiges über die molekulare Arbeitsweise der Muskeln, doch viel interessanter finde ich die Frage, wie die Muskelkontraktionen zeitlich abgestimmt werden.
    Vielleicht hat der Leser schon einmal eine etwas kompliziertere, von Menschenhand gemachte Maschine gesehen, eine Strick- oder Nähmaschine, einen Webstuhl, eine automatische Flaschenabfüllanlage oder eine Heupresse. Die Antriebskraft kommt von irgendwoher, nehmen wir einmal an, von einem Elektromotor oder einem Traktor. Sehr viel verblüffender aber ist die verwickelte zeitliche Abstimmung der Einzelvorgänge.
    Ventile öffnen und schließen sich in der richtigen Reihenfolge, Stahlfinger knüpfen geschickt einen Knoten um einen Heuballen, und dann schießt genau im richtigen Augenblick ein Messer heraus und schneidet die Schnur ab. Bei vielen Maschinen des Menschen wird die zeitliche Koordinierung durch den Nocken, eine glänzende Erfindung, erreicht. Dieser übersetzt eine Drehbewegung mit Hilfe einer exzentrischen oder besonders geformten Scheibe in ein komplexes rhythmisches Tätigkeitsmuster.

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