Das egoistische Gen
Überlebensmaschine mitnehmen läßt. 6
Einige Leute erheben Einspruch gegen das, was sie für eine übertrieben auf das Gen ausgerichtete Auffassung von der Evolution halten. Schließlich, so argumentieren sie, ist es das ganze Individuum mit allen seinen Genen, das tatsächlich lebt oder stirbt. Ich hoffe, ich habe in diesem Kapitel deutlich gemacht, daß in diesem Punkt wirklich kein Widerspruch besteht. So wie ganze Boote Rennen gewinnen oder verlieren, so sind es in der Tat die Individuen, die leben oder sterben, und die unmittelbare Äußerung der natürlichen Auslese erfolgt fast immer auf der Ebene des Individuums.
Doch die langfristigen Konsequenzen des nichtzufälligen individuellen Todes und Fortpflanzungserfolgs manifestieren sich in Form der sich ändernden Genhäufigkeiten oder Genfrequenzen im Genpool. Der Genpool spielt, mit Einschränkungen, dieselbe Rolle für die modernen Replikatoren wie die Ursuppe für die ursprünglichen. Geschlechtliche Fortpflanzung und Crossing-Over bewirken, daß die Liquidität des modernen Gegenstückes der „Suppe“ erhalten bleibt. Sie sorgen dafür, daß der Genpool immer gut „durchgerührt“ wird und die Gene stückweise gemischt werden. Die Evolution ist der Vorgang, durch den einige Gene im Genpool zahlreicher und andere seltener werden. Wir sollten es uns zur Gewohnheit machen, uns jedesmal, wenn wir die Entwicklung eines Merkmals (beispielsweise des uneigennützigen Verhaltens) zu erklären versuchen, einfach zu fragen: „Welche Auswirkung wird dieses Merkmal auf die Häufigkeit der Gene im Genpool haben?“ Zuweilen wird die Gensprache ein wenig ermüdend, und wir werden um der Kürze und Klarheit willen zu bildhaften Vergleichen übergehen. Aber wir werden immer ein skeptisches Auge auf unsere Bilder haben, um sicherzugehen, daß sie sich wenn nötig wieder in die Gensprache zurückübersetzen lassen.
Was das Gen betrifft, so ist der Genpool lediglich die neue Art von „Suppe“, in der es sein Leben verbringt. Der einzige Unterschied ist, daß es heutzutage sein Leben gestaltet, indem es mit aufeinanderfolgenden Gruppen von Gefährten aus dem Genpool beim Bau einer sterblichen Überlebensmaschine nach der anderen zusammenarbeitet. Im nächsten Kapitel wenden wir uns den Überlebensmaschinen selbst zu und untersuchen, in welchem Sinn man sagen kann, daß ihr Verhalten von Genen gesteuert wird.
4. Die Genmaschine
Die Überlebensmaschinen begannen als passive Gefäße für die Gene, wobei sie diese mit kaum mehr versorgten als mit Wänden zum Schutz vor der chemischen Kriegsführung ihrer Rivalen und vor den Gefahren zufälligen Molekülbeschusses.
Zu Beginn „ernährten“ sie sich von organischen Molekülen, die in der Suppe unbegrenzt verfügbar waren. Dieses leichte Leben nahm ein Ende, als die organische Nahrung in der Suppe, die unter dem energetischen Einfluß jahrhundertelanger Sonneneinstrahlung allmählich entstanden war, gänzlich aufgebraucht war. Eine Hauptgruppe der Überlebensmaschinen, heute als Pflanzen bezeichnet, begann die Energie des Sonnenlichtes unmittelbar dazu zu verwenden, in eigener Regie aus einfachen Molekülen komplexere Verbindungen aufzubauen. Damit vollzog diese Gruppe die Synthesevorgänge, die im Urmeer abgelaufen waren, mit sehr viel größerer Geschwindigkeit nach.
Ein anderer Zweig, heute unter dem Namen Tiere bekannt, „entdeckte“, wie er die chemische Arbeit der Pflanzen für sich nutzen konnte, indem er entweder die Pflanzen selbst oder andere Tiere verzehrte. Beide großen Gruppen von Überlebensmaschinen entwickelten immer kunstvollere Tricks, um in ihren verschiedenen Lebensweisen eine größere Effizienz zu erzielen, und ständig wurden neue Lebensweisen erschlossen. Es bildeten sich Unterzweige heraus, von denen sich jeder in einer eigenen, spezialisierten Art der Lebensführung auszeichnete: im Meer, auf dem Erdboden, in der Luft, unter der Erde, auf Bäumen und in anderen Körpern. Diese Verzweigung war der Ursprung der ungeheuren Vielfalt von Pflanzen und Tieren, die uns heute so beeindruckt.
Sowohl Tiere als auch Pflanzen entwickelten sich zu vielzelligen Lebewesen, wobei jede Zelle vollständige Kopien aller Gene zugeteilt bekam. Wir wissen nicht, wann, warum und wie viele Male unabhängig voneinander dies geschehen ist. Einige Leute benutzen das Bild einer Kolonie und beschreiben einen Körper als eine Zellkolonie. Ich persönlich ziehe es vor, mir den Körper als eine Kolonie von Genen
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