Das egoistische Gen
multipliziert werden. Der Einfachheit halber können wir zunächst andere Gewichtungen, beispielsweise für Alter und Gesundheit, vernachlässigen. Da der „Verwandtschaftsgrad“ eines Individuums mit sich selbst 1 ist (weil es – selbstverständlich – 100 Prozent seiner eigenen Gene besitzt), werden Risiken und Vorteile für es selbst überhaupt nicht im Wert herabgesetzt, sondern erhalten in der Rechnung ihr volles Gewicht. Die Gesamtsumme für jedes der alternativen Verhaltensmuster sieht folgendermaßen aus: Nettonutzen des Verhaltensmusters = eigener Vorteil – eigenes Risiko +1/2 Vorteil für Bruder -1/2 Risiko für Bruder +1/2 Vorteil für anderen Bruder -1/2 Risiko für anderen Bruder +1/8 Vorteil für Vetter ersten Grades -1/8 Risiko für Vetter ersten Grades +1/2 Vorteil für Kind -1/2 Risiko für Kind und so weiter.
Das Ergebnis der Addition ist eine Zahl, die als Nettovorteil bezeichnet wird. Sodann berechnet das Computermodell unseres Tieres die entsprechende Summe für jedes alternative Verhaltensmuster seines Repertoires. Am Ende beschließt es, dasjenige Verhaltensmuster zu realisieren, das den größten Nettovorteil aufweist. Selbst wenn alle Berechnungen negativ ausfallen, sollte es immer noch die Handlung mit der höchsten Punktzahl, also das kleinste Übel, auswählen. Bedenken wir, daß jede wirklich ausgeführte Handlung den Verbrauch von Energie und Zeit bedeutet, die beide auf andere Dinge hätten verwendet werden können. Wenn sich herausstellt, daß Nichtstun das „Verhalten“ mit dem höchsten Nettonutzen ist, wird das Tiermodell nichts tun.
Hier nun ein sehr stark vereinfachtes Beispiel, diesmal in Form eines Selbstgesprächs ausgedrückt statt in Form einer Computersimulation. Ich bin ein Tier, das eine Stelle mit acht Pilzen gefunden hat. Nachdem ich ihren Nährwert zur Kenntnis genommen und etwas für das geringe Risiko abgezogen habe, daß sie giftig sein können, würde ich sagen, daß jeder von ihnen +6 Einheiten wert ist (die Einheiten sind willkürliche Prämien wie im vorigen Kapitel). Die Pilze sind so groß, daß ich nur drei von ihnen essen könnte. Soll ich jemand anderem meinen Fund mitteilen, indem ich einen „Futterruf“ ausstoße?
Wer ist in Hörweite? Mein Bruder B (sein Verwandtschaftsgrad zu mir beträgt 1/2), mein Vetter C (Verwandtschaftsgrad 1/8) und D (keine besondere Beziehung: Sein Verwandtschaftsgrad zu mir ist eine derart kleine Zahl, daß sie für praktische Zwecke als gleich null behandelt werden kann). Der Nettovorteil für mich, wenn ich meinen Fund verschweige, ist +6 für jeden der drei Pilze, die ich esse, das heißt insgesamt +18. Mein Nettovorteil, wenn ich den Futterruf ausstoße, verlangt etwas Rechenarbeit. Die acht Pilze werden zu gleichen Teilen unter uns vieren aufgeteilt. Die Prämie für mich aus den zweien, die ich selbst esse, beträgt +6 Einheiten pro Pilz, das heißt insgesamt + 12. Doch wegen unserer gemeinsamen Gene bekomme ich auch eine Prämie, wenn mein Bruder und mein Vetter jeder ihre zwei Pilze essen. Die tatsächliche Punktzahl beläuft sich auf (1 x 12) + (1/2 x 12)+ (1/8 x 12) + (0 x 12) = +19½.
Der entsprechende Nettovorteil für das egoistische Verhalten war +18. Die Differenz ist gering, aber nichtsdestoweniger ist das Urteil eindeutig: Ich sollte den Futterruf ausstoßen; mein Altruismus würde in diesem Fall meinen egoistischen Genen zugute kommen.
Ich habe vereinfachend angenommen, daß das einzelne Tier sich ausrechnet, was für seine Gene am besten ist. In Wirklichkeit füllt sich der Genpool mit Genen, welche die Körper veranlassen, sich so zu verhalten, als hätten sie derartige Rechnungen angestellt.
In jedem Fall ist die obige Berechnung nur eine sehr vorläufige erste Annäherung an das, was sie im Idealfall sein sollte. Sie läßt viele Dinge unberücksichtigt, einschließlich des Alters der betroffenen Individuen. Außerdem ist, wenn ich gerade eine gute Mahlzeit verzehrt habe und nur noch einen Pilz fressen kann, der Nettonutzen des Futterrufes größer, als wenn ich ausgehungert bin. In der vollkommensten aller möglichen Welten ließe sich die Berechnung ad infinitum verfeinern. Aber das reale Leben wird nicht in der vollkommensten aller möglichen Welten gelebt. Wir können nicht erwarten, daß Tiere in der Realität jede kleinste Einzelheit berücksichtigen, um zu einer optimalen Entscheidung zu gelangen. Wir werden mit Hilfe von Beobachtungen und Freilandexperimenten herausfinden
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