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Das egoistische Gen

Titel: Das egoistische Gen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dawkins
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müssen, wie nahe die echten Tiere einer idealen Kosten-Nutzen-Analyse kommen.
    Um sicherzugehen, daß wir uns nicht zu sehr von subjektiven Beispielen haben mitreißen lassen, sollten wir kurz auf die Ebene des Gens zurückkehren. Lebende Körper sind Maschinen, die von überlebenden Genen programmiert worden sind.
    Diese Gene haben unter Bedingungen überlebt, die im Durchschnitt   für die Umwelt der Spezies in der Vergangenheit kennzeichnend waren. Die „Schätzungen“ von Kosten und Nutzen beruhen daher auf vorangegangenen „Erfahrungen“, genau wie bei menschlichen Entscheidungen. Erfahrung in diesem Fall hat jedoch die besondere Bedeutung von Generfahrung oder, genauer, von den früheren Bedingungen, unter denen die Gene überlebt haben. (Da die Gene die Überlebensmaschine auch mit der Fähigkeit zu lernen ausstatten, könnte man sagen, daß einige der Schätzungen über Kosten und Nutzen auch auf der Grundlage individueller Erfahrung getroffen werden.) Solange die Bedingungen sich nicht allzu drastisch ändern, werden die Schätzungen gut sein und die Überlebensmaschinen im Durchschnitt die richtigen Entscheidungen treffen. Wenn die Bedingungen sich grundlegend ändern, werden die Überlebensmaschinen dazu tendieren, falsche Entscheidungen zu treffen, und ihre Gene werden dafür bezahlen müssen.
    Geradeso sind menschliche Entscheidungen, die auf überholter Information beruhen, gewöhnlich falsch.
    Auch die Einschätzung des Verwandtschaftsgrades unterliegt Irrtümern und Unwägbarkeiten. Bei unseren zu stark vereinfachten Berechnungen haben wir bisher so getan, als ob die Überlebensmaschinen wüßten,   wer mit ihnen verwandt ist und wie nah. Im wirklichen Leben ist solche Gewißheit gelegentlich möglich, häufiger aber läßt sich der Verwandtschaftsgrad nur als Durchschnittswert schätzen. Nehmen wir zum Beispiel an, A und B könnten ebensogut Halbgeschwister wie leibliche Geschwister sein. Ihr Verwandtschaftsgrad beträgt entweder 1/4 oder 1/2; weil wir aber nicht wissen, ob sie Halbgeschwister oder leibliche Geschwister sind, ist die tatsächlich anwendbare Zahl der Durchschnittswert 3/8. Wenn sie mit Sicherheit dieselbe Mutter haben, die Wahrscheinlichkeit, daß sie denselben Vater haben, aber nur eins zu zehn beträgt, dann ist es zu 90 Prozent sicher, daß sie Halbgeschwister sind, und zu zehn Prozent sicher, daß sie leibliche Geschwister sind, und der effektive Verwandtschaftsgrad ist 1/10 x 1/2+9/10 x 1/4=0,275.
    Doch wenn wir sagen, „es“ ist zu 90 Prozent sicher, auf welches „es“ beziehen wir uns dann? Meinen wir, daß ein Zoologe nach einer langen Feldstudie zu 90 Prozent sicher ist, oder meinen wir, daß die Tiere zu 90 Prozent sicher sind? Mit ein wenig Glück können beide Möglichkeiten auf fast dasselbe hinauslaufen. Um das zu erkennen, müssen wir überlegen, wie die Tiere es tatsächlich bewerkstelligen könnten abzuschätzen, welches ihre nahen Verwandten sind. 7
    Wir wissen, wer unsere Verwandten sind, weil man es uns sagt, weil wir ihnen Namen geben, weil wir formale Eheschließungen haben und weil wir schriftliche Unterlagen und ein gutes Gedächtnis besitzen. Viele Sozialanthropologen beschäftigen sich mit der „Verwandtschaft“ in den Gesellschaften, die sie untersuchen. Sie meinen keine wirkliche genetische Verwandtschaft, sondern subjektive und kulturelle Vorstellungen von Verwandtschaft. Die menschlichen Bräuche und Stammesrituale messen der Verwandtschaft gewöhnlich großes Gewicht bei, die Ahnenverehrung ist weit verbreitet, Verpflichtungen und Loyalität gegenüber der Familie beherrschen einen Großteil des Lebens. Blutrache und Stammesfehden sind im Sinne der Hamiltonschen genetischen Theorie leicht zu erklären. Inzesttabus zeugen von dem starken Verwandtschaftsbewußtsein des Menschen, obwohl der genetische Vorteil eines Inzesttabus nichts mit Altruismus zu tun hat; er hängt wahrscheinlich mit den schädlichen Einflüssen rezessiver Gene zusammen, die bei Inzucht auftreten. (Aus irgendeinem Grunde mögen viele Anthropologen diese Erklärung nicht.)8
    Woher könnten freilebende Tiere „wissen“, wer ihre Verwandten sind, mit anderen Worten: Welche Verhaltensregeln könnten sie befolgen, um den Eindruck zu erwecken, sie seien über die Verwandtschaftsverhältnisse im Bilde? Die Regel „Sei nett zu deinen Verwandten“ setzt die Frage voraus, wie Verwandte in der Praxis zu erkennen sind. Die Tiere müssen von ihren Genen eine einfache Richtschnur

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