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Das egoistische Gen

Titel: Das egoistische Gen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dawkins
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der den größten Teil seines Lebens noch vor sich hat.
    Wir müssen unsere sauberen symmetrischen Berechnungen des Verwandtschaftsgrades durch verwirrende versicherungskalkulatorische Gewichtungen modifizieren. Großeltern und Enkel haben genetisch gesehen den gleichen Grund, sich selbstlos zueinander zu verhalten, da sie 1/4 ihrer Gene teilen.
    Wenn aber die Enkel die größere Lebenserwartung haben, so verfügen Gene für Selbstlosigkeit von Großeltern zu Enkeln über einen höheren Selektionsvorteil als Gene für Altruismus von Enkeln gegenüber Großeltern. Es ist sehr gut möglich, daß der Nettonutzen der Hilfe, die man einem jüngeren entfernten Verwandten gewährt, größer ist als der Nettonutzen der Hilfeleistung gegenüber einem alten nahen Verwandten. (Nebenbei gesagt haben Großeltern natürlich nicht zwangsläufig eine kürzere Lebenserwartung als Enkelkinder. In Arten mit einer hohen Kindersterblichkeit gilt vielleicht das Gegenteil.) Um im Bild der Versicherungsstatistik zu bleiben, können wir uns vorstellen, daß die Individuen eine Lebensversicherung abschließen. Man kann erwarten, daß ein Individuum einen bestimmten Anteil seines Vermögens in das Leben eines anderen Individuums investiert oder für es riskiert. Es berücksichtigt in seiner Berechnung seinen Verwandtschaftsgrad zu dem anderen Individuum sowie die Frage, ob dieses hinsichtlich der Lebenserwartung im Vergleich zu ihm selbst ein „gutes Risiko“ ist. Um genau zu sein, sollten wir von „Reproduktionserwartung“ sprechen oder, wenn wir noch genauer sein wollen, von der „generellen Erwartung, den eigenen Genen in Zukunft nützen zu können“. Damit sich uneigennütziges Verhalten entwickelt, muß das Nettorisiko für den Altruisten geringer sein als der Nettogewinn für den Empfänger, multipliziert mit dem Verwandtschaftsgrad. Risiken und Vorteile müssen auf die komplizierte versicherungskalkulatorische Weise berechnet werden, die ich kurz umrissen habe.
    Aber was für eine komplizierte Rechnung, die da von einer armen Überlebensmaschine verlangt wird, vor allem, wenn es schnell gehen muß!6 Selbst der große mathematisch arbeitende Biologe J.B.S. Haidane bemerkte (in einem Aufsatz aus dem Jahre 1955, in dem er Hamilton vorwegnahm und die Verbreitung eines Gens für die Rettung naher Verwandter vor dem Ertrinken postulierte): „ ... beide Male, als ich möglicherweise ertrinkende Personen (mit einem verschwindend geringen Risiko für mich selbst) aus dem Wasser zog, hatte ich keine Zeit für solche Berechnungen.“ Zum Glück ist es jedoch, wie Haidane sehr wohl wußte, nicht nötig anzunehmen, daß Überlebensmaschinen diese Dinge bewußt im Kopf durchrechnen. So wie wir uns vielleicht eines Rechenschiebers bedienen, ohne uns dessen bewußt zu sein, daß wir tatsächlich Logarithmen benutzen, kann ein Tier vorprogrammiert sein, sich so zu benehmen, als ob   es eine komplizierte Rechnung angestellt hätte.
    Sich dies vorzustellen ist nicht so schwer, wie es scheint.
    Wenn ein Mensch einen Ball hoch in die Luft wirft und wieder auffängt, verhält er sich so, als hätte er eine Reihe von Differentialgleichungen gelöst, um die Flugbahn des Balles vorauszusagen. Er mag gar nicht wissen oder sich dafür interessieren, was eine Differentialgleichung ist, aber das beeinträchtigt seine Geschicklichkeit beim Ballspiel nicht im geringsten. Auf einer unbewußten Ebene geschieht etwas, das funktionell den mathematischen Berechnungen entspricht. In ähnlicher Weise tut ein Mensch, der eine Entscheidung trifft, nachdem er das Für und Wider und alle denkbaren Konsequenzen dieser Entscheidung gegeneinander abgewogen hat, etwas, das funktionell einer umfangreichen „gewichteten Summenkalkulation“ entspricht, wie sie vielleicht ein Computer durchführen würde.
    Wenn wir einen Computer so zu programmieren hätten, daß er ein Modell einer Überlebensmaschine simuliert, die Entscheidungen darüber trifft, ob sie sich altruistisch verhalten soll oder nicht, würden wir wahrscheinlich ungefähr folgendermaßen vorgehen. Wir würden eine Liste all der alternativen Dinge, die das Tier tun könnte, aufstellen. Dann würden wir für jedes dieser alternativen Verhaltensmuster eine gewichtete Summenkalkulation programmieren. Alle Vorteile bekommen ein Pluszeichen, alle Risiken ein Minuszeichen; sowohl Vorteile als auch Risiken werden vor dem Addieren gewichtet,   indem sie mit dem entsprechenden Index des Verwandtschaftsgrades

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