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Das Ei und ich

Das Ei und ich

Titel: Das Ei und ich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Betty McDonald
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sich wieder mal mit ihren schmutzigen Fingern an den Augenlidern herum und knabberte an der verhutzelten Scheibe Kuchen. Offenbar erwartete sie irgendwelche Reaktion unsererseits, und so fragte ich gehorsam: »Ja, und wie haben Sie ihn überlebt?« »Ich trommelte eine Vereinigung interessierter Leute zusammen, eine Studiengruppe«, erläuterte sie, »und arrangierte jeden Donnerstag eine Zusammenkunft, wo über Kunst diskutiert werden sollte. Ich dacht mir, man muß vorsichtig an die Sache rangehen, nicht gleich mit schwerem Geschütz auffahren. Musik sollte zum Anfang auf dem Programm stehen. Kleine Melodien, hatte ich mir vorgenommen, dann ’n bißchen schwerere, das nächste Mal noch schwerere, bis die Gesellschaft imstande war, ’ne ganze Symphonie zu verdauen. So hatte ich mir’s vorgestellt, aber leider verlief sich die Geschichte im Sande. Zu meinem Kummer mußt ich erfahren, daß das Landvolk keine geistigen Interessen hat. Die Leute sind Kinder der Natur und wollen diesem Zustand gar nicht entrissen werden.« Vor meinem geistigen Auge tauchte Mrs. Kettle auf, wie sie Mrs. Weatherby den unmißverständlichen Rat gab, sich ihre Symphonien und ihre Studiengruppe in den Hals zu stopfen, bis sie dran ersticke. »Und Gemeinschaftsgeist ist ihnen völlig fremd«, fuhr Mrs. Weatherby in ihrer Klage fort. »Ich hab ihnen mehr als einmal angeboten, ihnen bei ihren Veranstaltungen im Schulhaus zu helfen, aber sie sind noch immer verschnupft wegen dem Wirbel um dem warmen Imbiß und wollen nichts mit mir zu tun haben.« Sie schaltete eine Pause ein, damit einer von uns fragen konnte: »Was für ein Wirbel und welcher warme Imbiß?« Da sie es so haben wollte, tat ich Mrs. Weatherby den Gefallen und brachte ihr das Stichwort. »Ja, aber haben Sie davon noch nicht gehört?« erkundigte sie sich zur Ausschmückung des Dialogs. »Nein«, erwiderte ich. »Also, das war so«, und Mrs. Weatherby rutschte wieder ins Fahrwasser des Erzählens. »Beim Farmertreffen schlug eine der Farmersfrauen vor, man solle den Kindern in der Schule einen warmen Imbiß geben, und ich sagte, das wäre schon recht, aber ich müßte darauf bestehen, zuerst die Schulküche auf ihren Zustand in hygienischer Hinsicht zu prüfen. Na, das hätten Sie erleben sollen! Wie sie sich auf führten! Man hätte meinen können, ich hätt Trauscheine angezweifelt.« Ich bemühte mich krampfhaft, nicht in Bobs Richtung zu schauen, denn hätten unsere Blicke sich gekreuzt, wäre es mit meiner Beherrschung aus gewesen und ich hätte laut herausgelacht. So dankte ich unserer Gastgeberin sehr höflich für Wein, Kuchen und Unterhaltung, und wir verabschiedeten uns.
    Als wir in den Wagen kletterten, öffnete Bob zum erstenmal den Mund. »So ein blödes Frauenzimmer!« schimpfte er. Ich war nicht so schnell bei der Hand mit einem vernichtenden Urteil. Wer weiß, wenn ich noch lange in dieser Einsamkeit lebte, wurde ich Mrs. Weatherby vielleicht ähnlich, bis auf die Kinder natürlich. Woher kam diese Frau? Und was für ein Mensch war Mr. Weatherby? Ich fragte Mrs. Kettle um Auskunft. »Wo sie herkommen, weiß kein Mensch. Ihr Mann ist der widerlichste, schmierigste, nutzloseste Indianer weit und breit, und er schlägt sie jeden Samstagabend grün und blau. Sie redet nie über sich selbst. Als sie kam, tat sie sich mächtig wichtig und versuchte, da so was wie ’n Musikkurs einzurichten und uns was über ›Das Thehater un’ der Tahanz‹ vorzufaseln« – Mrs. Kettle schwang den Schürhaken wie einen Dirigentenstab und verzog das Gesicht vor Abscheu –, »aber die Nachbarn gaben ihr eins aufs Dach un machten ihr klar, was sie von dem Quatsch dachten. Un seitdem da hockt sie in ihrer Stinkbude oder treibt sich mit ihren Würmern am Strand ’um.« Arme Mrs. Weatherby, dachte ich, die nichts im Leben hat außer den volltönenden Namen ihrer Kinder Mary Elizabeth, Pamela Lorraine, John Frederick und Charles Lawrence. Wie sie sie aussprach! Mit welcher inneren Genugtuung! Die Namen rollten ihr wie kostbare Perlen über die Zunge. Ich versuchte, den Namen meiner Tochter mit demselben Raffinement auszusprechen, aber »Anne Elizabeth« blieb schlicht und einfach, wie ich mich auch bemühte, die beiden Wörter zu dramatisieren.
    Meine erste Berührung mit Thehater und Tahanz fand im Schulhaus statt, wo ich in Mrs. Hicks’ Gesellschaft hinging, um ein von den Kindern gebotenes buntes Programm anzusehen. Das Programm bekam seine besondere Prägung durch den Stallduft,

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