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Das Ei und ich

Das Ei und ich

Titel: Das Ei und ich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Betty McDonald
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achtete nicht auf Risse und Kratzer, die mir im Gestrüpp und im Regen schwankende Tomatenpflanzen zufügten, kämpfte mich bis zum großen Hühnerhaus durch und hängte dort die Laternen auf, was den Stall gemütlich machte wie eine Hotelhalle zur Cocktailstunde. Wenn sich ein paar nervöse Hennen über den lichtspendenden Eindringling beruhigt hatten, kauerte ich mich nieder und versuchte, das Gefühl der Einsamkeit durch den Anblick des geschäftigen Treibens zu verscheuchen.
    Der Boden war ungefähr vier Zentimeter hoch mit trockenem, reinem Stroh bedeckt; die Hennen glucksten und scharrten, nahmen Staubbäder, pickten sich gegenseitig, sprangen auf die Futtertröge, fraßen, gackerten, als ob’s jetzt ans Eierlegen ginge, legten dann wirklich Eier. Sie benahmen sich sorglos und tummelten sich springlebendig wie am strahlendsten Frühlingstag, unbekümmert um den trübseligen November, die düsteren Berge und den endlosen Regen.
    Am Samstag war es meine Sache, die Eier einzusammeln. Das wäre sehr einfach und so, a\s ob jeden Samstag Ostern sei, gewesen, hätten die Hennen sich entgegenkommend genug gezeigt, mal eben von ihren Nestern herunterzusteigen. Doch Gemeinschaftsarbeit ist Hühnern ein unbekannter Begriff, und gerade zur Zeit des Eiersammelns manifestierten sie ihre speziellen Hühnereigenschaften, krallten sich fest ins Stroh und warfen mir »Nur-über-meine-Leiche-geht-der-Weg-Blicke« zu, sobald ich mich näherte. Ich versuchte es mit allen Mitteln. Ich fuchtelte mit einem Stöckchen herum, wedelte mit dem Schürzenband, gab sinnlose, laute Geräusche von mir, streute ihnen die verführerischsten Bissen hin – umsonst. Sie kniffen die Schnäbel zusammen, klammerten sich fest an die Eier und boten mir Trotz. Man kann den Hühnern ihr Verhalten nicht einmal übelnehmen, denn ob nun Schalen drum herum sind oder nicht, es sind schließlich ihre Kinder, die sie verteidigen.
    Der Gockel ist ganz anders. Er schert sich nicht darum, ob man das letzte Küken raubt und vor seinen Augen Handball damit spielt. Es berührt ihn auch nicht weiter, wenn das Hühnerhaus von Wieseln überfallen wird und in Blut schwimmt. Er pickt sich höchstens einen Blutspritzer vom Rockaufschlag und stolziert umher, und während er vorsichtig über den leblosen, jedoch noch warmen Körper einer früheren Geliebten hinwegschreitet, schätzt er bereits mit begehrlichen Blicken Beine und Brust einer neuen Eroberung ab.
    Bob behauptete, meine Art, mich den Nestern zu nähern, sei schuld an meinem Mißerfolg. Ich langte schüchtern nach den Eiern, da fiel die betreffende Henne schon über mein Handgelenk her, und wenn ich meine Hand erschreckt zurückzog, zerbrach ich am Nestrand die dünnen Eierschalen. Bob streckte seine Hand aus, griff unter die Hennen, und sofort duckten sie sich stillschweigend. Ich versuchte, seine Herr-im-Haus-Manier nachzuahmen, aber die Hennen ließen sich nicht von mir in die Irre führen, und nach drei oder vier Versuchen waren meine Handgelenke zerkratzt und zerbissen, ich selbst ein Nervenbündel, und die Hennen beherrschten das Feld.
    Für gewöhnlich kehrte Bob so gegen fünf Uhr aus der Stadt heim, und nichts im Leben wird je imstande sein, solch freudige Erregung in mir auszulösen wie der erste Laut des heimkehrenden Lastwagens. Alle paar Minuten lief ich zum Fenster, um das Näherkommen der Scheinwerfer zu beobachten, bis es endlich, endlich soweit war und Bob in einer Wolke kalter Luft und nach Tabak duftend eintrat, die Arme vollbepackt mit Briefen, Zeitungen, illustrierten Zeitschriften, Zigaretten, Zuckerzeug und Kolonialwaren. Wie schwelgten wir an diesen Samstagabenden! Wir rauchten, aßen, lasen uns gegenseitig die Briefe vor und schwatzten, wenn ich nicht – was leider manchmal vorkam – vergessen hatte, Kerosin zu bestellen. War es geschehen, so sammelte ich die letzten Tropfen aus allen Lampen, goß sie in eine und brachte den Docht mit dem armseligen Rest zum Glimmen. Aber mit der Gemütlichkeit war’s dann vorbei. Das schwache Licht, die finsteren Wände, Bobs vorwurfsvoll verzogener Mund, ganz zu schweigen vom Ausdruck seiner Augen, konnten einem das Gefühl einflößen, als säße man von der Umwelt abgeschnitten in einem Grubenschacht. Herd liebte solche Situationen und pflegte alles in seiner Kraft Stehende zu tun, um die allgemeine Unbehaglichkeit zu erhöhen. Versuchte ich, den Ring zu heben, damit die Glut zusätzliches Licht spende, blies er heimtückisch die Klappe auf und

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