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Das einsame Herz

Das einsame Herz

Titel: Das einsame Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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über das dichterische Wort eines aufreißenden und mahnenden Vorbildes des Ichs führte, schaute er oft mit einer Art Angst und Mitleid auf den riesigen Freund, wenn Bendler verbissen und mit den Fingern an die Scheibe trommelnd am schmalen Fenster stand und in die Weite starrte.
    »Man ist wie ein Tier«, sagte er einmal in einer solchen Stunde. »Wie ein Tier, das die Freiheit kennt, aber hinter Gittern bleibt, um das pünktliche Fressen nicht zu verlieren …«
    Otto Heinrich vermied es, darauf eine Antwort zu geben. Doch in der Stille verstanden sie sich besser und fühlten, daß ihr Ziel das gleiche war, nur, daß der eine den Menschen verachtete und der andere als letzte Rettung seiner Seele ihn suchte und rief.
    Mit Jungfer Trudel kam der junge Apotheker seit der Begegnung in dem Wäldchen nicht mehr zusammen. Tunlichst vermied er alle Möglichkeiten, sie allein zu treffen, schickte einen Lehrling in die Küche, wenn er etwas Feuer oder Kohlen für das Laboratorium brauchte, und nur bei Tische, wenn alle Gesellen vor den Blicken Knackfuß' sich verkrochen, sah er ihre dicken, blonden Flechten und starrte gesenkten Kopfes auf den Teller, um ihre Augen nicht zu sehen und die große Frage, die Willi Bendler mit einem halb verlegenen, halb hilflosen Grinsen ablas.
    Und doch verging kein Tag, an dem Otto Heinrich nicht an einem der Fenster in der Apotheke oder im Laboratorium stand, hinaus auf die Straße blickte und wartete, bis Trudel aus dem Hause trat, den Einkaufskorb am geflochtenen Henkel um den linken Arm gehängt, und über den Markt ging. Dann sah er ihr mit seinen großen, sehnsüchtigen Augen nach, bis sie im Gewühl der Marktgänger verschwand oder sich die Tür eines Geschäftes hinter ihrer schlanken, in einen pelzverbrämten Mantel gehüllten Gestalt schloß.
    Mit einem müden Lächeln, manchmal auch mit einer zitternden Bewegung seiner Hand über die blonde Locke über seiner Stirn, wandte sich dann Otto Heinrich wieder den Kolben und Tiegeln zu und schaute auch einmal mit einem schaudernden Gedanken auf die schwarzen Totenköpfe der Giftflaschen in dem hohen Schrank, um sich dann mit einem Seufzer abzuwenden und in das brodelnde Kochen seiner Säuremischungen zu starren.
    Von diesen Augenblicken des täglichen Wartens und Sehnens ahnte weder Willi Bendler noch Jungfer Trudel etwas.
    So kam der trübe, grau verhangene Tag, an dem der erste Schnee sich über die Berge ins Tal wagte, das Städtchen in der Senke wie in Watte packte und eine sanfte Stille von den kahlen, weißen Wäldern durch die Straßen kroch. In den Zimmern der geduckten Bürgerhäuser, in deren Außenschnitzereien sich der Schnee zu kleinen Puppen backte, krachten die Scheite in den breiten Kaminen, die Vorstimmung des nahen Festes trug in die Augen jenen warmen Glanz, den Menschen haben, wenn sie fühlen, daß sie glücklich sind, und in der Apotheke wurden Watte und aus dünnstem Glas geblasene, bemalte Kugeln mehr gefragt als Magenpflaster, Hustensaft oder Salbe gegen frosterstarrte Glieder.
    An diesem ersten Tage des ersehnten Schneefalls rief Herr Knackfuß um die Mittagszeit Otto Heinrich Kummer in sein kleines, hinter dem Laden gelegenes Kontor. Mit der leisen Scheu, die der junge Apotheker immer fühlte, wenn ihn sein Herr für ein paar Worte zu sich bat, ging er durch das langgestreckte Laboratorium, verzögerte bei Willi Bendler etwas seinen Schritt, wollte ein Wort, vielleicht nur einen Anruf sagen, schüttelte dann aber den Kopf und trat hinaus auf den kleinen Flur, der zwischen Kontor und Apotheke lag.
    Als er nach einem leisen Klopfen und einem energischen »Herein!« in das Zimmer trat, schritt Herr Knackfuß mit weiten Schritten durch den Raum, beide Hände gekreuzt über den Rücken gelegt. Er bot Otto Heinrich einen Platz neben seinem Schreibtisch und eine Pfeife Tabak an, lächelte dem Jüngling zu und klappte das dicke Hauptbuch mit einem dumpfen Knall zu.
    »Mein lieber Kummer«, sagte er in einer ihm fremden, fast leutseligen Art und setzte sich ihm gegenüber in den breiten Lehnsessel, »seit Wochen sind Sie nun Geselle in meiner Apotheke. Es sollte eine Probezeit sein, sie ist nun überstanden, und wir können ernsthaft von der Zukunft sprechen. Ich bin – doch werden Sie nicht stolz, junger Mann – leidlich mit Ihnen zufrieden. Ich sage leidlich, das bedeutet viel. Kurz, lieber Kummer – ich stelle Sie bei mir nicht als Geselle, sondern als meinen Hauptprovisor ein. – Sie sind doch

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