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Das einsame Herz

Das einsame Herz

Titel: Das einsame Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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rührt,
laßt im Punsche uns vermessen
suchen, was die Freude spürt!
    Greift mit kühner Hand zum Becher,
dieser Griff sei euch erlaubt,
selbst der ält'ste Herzensbrecher
wird im Rebensaft entstaubt!
    Hoch die Gläser, hohl die Kehlen,
trinkt, o trinkt, eh es zu spät,
jeder Tropfen wird euch fehlen,
wenn's juchhei zur Hölle geht.
    Hoch die Gläser, hohl die Kehlen,
schüttet, Freunde, haltet Schritt –
ich versprecht' euch: wenn ich sterbe,
nehm' ich meinen Becher mit!«
    »Das nenne ich ein Trinklied!« schrie Maltitz, als Kummer die Laute in die klatschende Menge warf und mit einem großen Sprung vom Tisch setzte. »Das nenne ich Feuer im Blut. Trinklied, beim Punsche zu singen – Otto Heinrich, Freund, Bruder auf den Wegen der Verachtung – das ist der rechte Geist: vom Scherze singen, während Tränen in der Kehle drücken.« Er riß den Jüngling in seine Arme, drückte ihn an seine breite Brust und streichelte ihm über das blonde Haar, während die betrunkenen Bürger lärmend und lachend umherstanden und das Sichfinden zweier Seelen mit einem plumpen Scherz verwechselten.
    »Noch ein Lied!« grölten sie und trommelten mit den Fäusten den Takt auf die Tische.
    »Noch ein Lied!« brüllte der Schmied. »Zur Hölle geht's ja allemal! Da hat er recht! – Ein Lied!«
    Doch Kummer schüttelte den Kopf und sah Maltitz flehend an.
    Maltitz verstand, warf einen Säckel mit Geld auf die Theke, schob den Apotheker zur Tür, riß sie auf, daß die kühle Luft der Herbstnacht in den Qualm und Weindunst der Wirtschaft schoß und die blauweißen Schwaden zu brodeln und kreiseln begannen, und wandte sich dann an die nachdrängenden, protestierenden Bürger:
    »Freunde«, rief er. »Genug des Singens! Nur selten leuchtet ein Genie auf – es ist ein Stern, der sparsam mit dem Licht ist!« Und als er sah, daß diese Rede an den stieren Augen, offenen Mündern und rülpsenden Kehlen vorbeiging, schrie er: »Sauft weiter! Noch ist's nicht Morgen! Wir geh'n nur einmal um das Haus und kommen dann wieder!«
    »Ein Lied will ich haben!« brüllte der Schmied. »Ich lege euch über den Amboß – beim neunzigschwänzigen Satan –, ich will ein Lied!«
    »Sing dir's allein!« lachte Maltitz zurück, während er Kummer durch die Tür ins Freie schob. »Oder besser: singt alle!« Und er sang laut:
    »Wirt, ein Glas her! Wirt, 'ne Flasche,
meine Kehle ist schon wund,
zapft vom Faß mir die Karaffe,
gebt mir einen Schlauch zum Mund …«
    Mit lautem Grölen fielen die Bürger von Augustusburg ein, hieben auf die Tische, umarmten sich und schrien, an der Spitze der Wirt und der Schmied, deren mächtige Bässe wie Orgelpfeifen die Runde übertönten. Mit den Füßen den Takt stampfend, ließen sie die Kanne von Mund zu Mund gehen und jagten die Kellnerin hin und her.
    Maltitz war währenddessen dem Freunde gefolgt, faßte ihn nun unter und ging mit ihm durch die kühle, frische Nacht.
    Hinter ihrem Rücken klang schwach der Rundgesang aus der Wirtschaft, vor ihnen strahlte mit Hunderten Lichtern die Augustusburg auf ihrem mächtigen Felsen, und vom sternenklaren, glitzernd übersäten Himmel drang beängstigend sanfter Frieden in die Seele der beiden Wanderer.
    »Ich habe Ihnen eine schöne Nacht und einen noch schöneren Tag zu danken«, sagte Kummer nach langer Schweigsamkeit. »Ich nehme die Nachtpost, Herr von Maltitz – ich muß morgen frisch im Laboratorium stehen.«
    »Nicht Sie dürfen mir danken, bester Freund«, erwiderte Maltitz und legte seinen Arm um Kummers Schulter. »Sie haben mir für wenige Stunden die Lust zum Leben gegeben. Ihre Jugend, Ihr Glaube an das Kommende, Große, Ewige, Menschliche hat auch mich entzündet. Dafür muß ich Ihnen danken … denn es ist viel, sehr viel …«
    Vor dem Rathaus, wo die Nachtpost wartete, drückten sie sich lange die Hand und sahen sich tief in die Augen.
    »Leben Sie wohl«, sagte Kummer mit belegter Stimme. »Ich werde im Geiste stets bei Ihnen und Ihrem großen Werke sein.«
    »Auf Wiedersehen«, antwortete Maltitz leise. »Ja, auf Wiedersehen … mein Freund Kummer …«
    Rasselnd verschwand die Kutsche in der Dunkelheit.
    Das Leben in Frankenberg ging seinen altgewohnten, streng dem Gesetze des Berufes vorgeschriebenen Gang.
    Nach seiner Rückkehr aus Augustusburg hatte Otto Heinrich es vermieden, mit Bendler in eine neue Aussprache zu kommen, sondern in dem unerklärlichen Gefühl, daß sein Weg in die Freiheit nicht über die Verachtung des Individuums, sondern

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