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Das einsame Herz

Das einsame Herz

Titel: Das einsame Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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einer Mütze aus dickem Pelze auf. Ein paar blonde Locken ringelten sich unter ihrem Rand hervor, während ihre großen Augen traurig und verweint auf den Jüngling blickten.
    »Ich weiß, daß Sie allein sind, daß Sie Sehnsucht haben nach einem Leben, das Sie gar nicht kennen und das Sie nur aus Büchern und idealen Schilderungen lieben. – Ich möchte Ihnen helfen, Otto Heinrich …«
    Der junge Apotheker sah zu Boden, löste seine Hand aus ihren wärmenden Fingern und trat einen halben Schritt zurück. Wie um Halt zu suchen, lehnte er sich mit dem Rücken an die Holzwand der Laube und schob die Hände wieder in die Tasche.
    »Es ist nicht gut, daß Sie gekommen sind. Wenn es der Prinzipal erfährt, beginnt für Sie und mich die Hölle.«
    »Mein Vater ist nicht schlecht«, sagte das Mädchen leise. »Er ist verbittert …«
    »Er ist herrisch, hart, voll Dünkel und voll Unrecht …«, unterbrach sie Otto Heinrich.
    Das Mädchen schüttelte den schmalen Kopf, und eine Träne glitzerte in ihren halbverschlossenen Augen.
    »Mein Vater lernte früh, wie hart das Schicksal ist. Ich war zwei Jahre alt, als er die Frau verlor … verlor an einen fahrenden Komödianten, der sie mitnahm in die lockende Ferne. Diese Frau war meine Mutter.«
    »Aber ihr Vater …« Der Jüngling stockte erschreckt über die Offenbarung des Mädchens. »Ihr Vater sagte doch, daß Ihre Mutter starb, als Sie …«
    »Sie starb für ihn. Ihr Weggang war für ihn ihr Tod! Seit dieser Stunde haßt er alle Künstler, alle Sehnsucht nach der Weite, nach dem heißen Leben. Er kennt nur Pflicht und Arbeit, Ehre und Besinnung auf das Muß – er lebt in einer Höhle wie ein Eremit.« Und leicht, mit einer zärtlichen Bewegung, legte ihm das Mädchen ihre Hand auf seinen Arm und sagte leise: »Auch er ist einsam in der Welt, die er sich schuf – ein Mensch, der lebt, weil jeder andere Gedanke Sünde ist …«
    Sie schwieg, und auch der Jüngling fühlte, daß diese Stille eine Brücke in das Schicksal wurde. Langsam hob er den Arm, legte ihn dem Mädchen auf die Schulter und zog es nahe zu sich heran. Willenlos folgte es dem Drucke seines Armes und sah ihm mit großen Augen ins Gesicht.
    »Das wußte ich nicht«, sagte Otto Heinrich nach langer Pause. »Ich danke Ihnen, Jungfer Trudel –« Er stockte und blickte über sie hinweg in den matt schimmernden Schnee hinaus. »Wenn Sie mir helfen wollen, so habe ich nur ein Bitte. Lassen Sie mich allein in meiner Einsamkeit …«
    Das Mädchen schüttelte den Kopf.
    »Sie sagten einst zu mir: Leben ist eine Aufgabe, nicht das Aufgeben des Ichs. Ich habe es behalten … jeden Satz … ich habe sie gesammelt und mir täglich vorgesagt und wußte dann bei jedem Wort, wie ich es heilen könnte; denn Ihre Worte waren krank, gebrochen, fiebrig … und so arm, daß mir die Tränen kamen. Sagten Sie nicht damals, daß das Leben eine Mission sei, den Menschen von Leben zu Leben zu veredeln …?«
    »Auch das haben Sie behalten?«
    »Alles, Otto Heinrich Kummer! – Veredeln, sagten Sie. Wie kann ein Mensch den Adel seiner Menschlichkeit erkennen, wenn er die Einsamkeit anbetet und die Menschen flieht? Am Menschen selbst nur wird der Mensch gesunden … das sagt mir mein Gefühl, nicht, wie Sie sagten, eine Logik.«
    Der Jüngling sah in ihre Augen und streichelte dann mit seinen kaltgefrorenen Händen über ihre frostgeröteten Wangen.
    »Gott segne dieses Gefühl. Es wäre herrlich, in der Liebe zu gesunden …«
    »Sie sehen dieses Leben falsch«, flüsterte das Mädchen. »Sie sitzen nachts in einer zugeschneiten Laube und träumen von der Herrlichkeit des Lebens. Und draußen jubelt unterdessen diese Herrlichkeit aus allen Augen, allen Herzen, allen Mündern, geht draußen eine Schönheit dieses Lebens nach der anderen für Sie verloren, weil Sie in Ihrer Einsamkeit von etwas träumen, was Sie wünschen, während der Wunsch nur auf Sie wartet, daß Sie kommen. Wie bequem ist das, den Weltschmerz vor sich herzutragen!«
    »Sie reden ungerecht …«
    »Ich rede, wie ich fühle! Da draußen liegt der Schnee! Warum nehmen Sie nicht eine warme Hand und gehen in die Wälder? Da ächzen die Stämme, und Hase, Fuchs und Schneehuhn huschen durch das stäubende Weiß. Da lebt das Leben weiter unter einem Leichentuch, da spüren Sie den Atem ewig neuer Kraft! – Und auf den Bergen, wenn der Nordwind weht, wenn hoch am Himmel sich die Wolken jagen … da sehen Sie die Macht des Lebens. Geh'n Sie hinunter in die Straßen!

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