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Das einsame Herz

Das einsame Herz

Titel: Das einsame Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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die Kunst: verachten und doch lieben!
    Was rede ich: Ihr Vater fragte mich, er machte sich um Ihre Zukunft mannigfache Gedanken und scheint mit dem Gedanken sehr befreundet, Sie nach dem Ablauf eines Jahres als Provisor an die Hofapotheke nach Dresden zurückzuholen. Er sprach sehr lobend über Sie – fast schien es Stolz –, und er war beglückt, als ich Sie einen Freund und edlen Menschen nannte.
    Meinen Namen kannte er! Auch meine ›Pfefferkörner‹ waren ihm geläufig – er fand sie – eine rege Diskussion kam nach dem Essen auf – ein wenig zu vulgär. Man könnte Scharfes auch mit Zucker mischen, Baldrian mit Honig, Würzfleisch mit Marsala! Ich sagte ihm, daß meine Absicht nicht Beruhigung, sondern Aufruf wäre, daß ich das Volk ergreifen wolle, nicht die dünne Schicht der Aristokratie, daß ich – wie Luther – ihnen auf das Maul schaue (ich sagte wörtlich Maul, das imponierte ihm!) und nicht mit der geschraubten Zunge leere Platitüden drechsle. Er sah das ein, mit vielen bürgerlichen Vorbehalten, für die ich, stäke ich in seiner Haut, Verständnis habe – doch schien ihm meine Art, die Dinge nackt und ohne Illusion zu sehen, zu lebensfeindlich, denn Leben – sagte er – ist nicht der Zweck, den Sinn zu erforschen, sondern sich mit den von Gott gegebenen Dingen zu befreunden und sie zu meistern. – Eine gute Lehre! Aber ich verlange mehr vom Menschen: In meinen Augen ist das Leben Kampf, Kampf um das Ich, für das Ich, wegen des Ichs! Das Leben ist die Essenz einer sich selbst errungenen Moral!«
    Otto Heinrich Kummer blickte wieder auf und starrte in die blakende Lampe. Seine Augen schmerzten, er legte die Hände über das Gesicht und lehnte sich zurück.
    Leben … hat das Leben eine Moral? Man quält sich sechzig oder siebzig Jahre um Brot und Wasser, man kämpft um dieses Leben, muß ja kämpfen, denn Verhungern ist ein bestialisch harter Tod – und dann kommt aus dem Dunkel ein Schatten an dein Bett, und dieser Schatten spricht und sagt: »Vorbei! Das Leben ist vorbei –! Da staunst du, was? Du kannst's nicht ändern – da hilft dir nichts und niemand, du mußt schon still und brav sein, wenn ich winke. Vorbei, mein Freund – man kann auch sagen: Du mußt sterben. Mußt, hörst du – ob du willst, danach wird nicht gefragt. Man fragte dich ja auch nicht, ob du leben wolltest – warum soll denn das Gehen anders als das Kommen sein?!«
    Und dann kommt dieser Schatten über dich, erdrückt dich, würgt, erstickt dir deinen Atem, und du bist auch nur noch ein Schatten, der im Nichts zerflattert. Zurück allein bleibt der Gedanke, den das letzte Zucken deines Hirns gebar: Wie sinnlos dieses Leben, wie einsam in der Tiefe dieser Weg von der Geburt bis in den Tod, wie grauenvoll pervers das hochgepriesene Ethos eines für das Nichts vertanen Lebens …
    Das einzige, das alles überlebt, ist Kälte.
    Unendlich ausgestreute Kälte.
    Weltraumkälte …
    Nichts …
    Otto Heinrich Kummer erschauderte. Die Einsamkeit, die seit der Flucht Bendlers sich um ihn legte, der schroffe Ton des Apothekers Knackfuß, dem die Auseinandersetzung wie eine Nadel in der Seele stak, und die Zurückhaltung Trudels seit diesem Tag, dieses Ausweichen und flehende Blicken, alles wurde in Otto Heinrichs Brust zu einem Berg, dessen Gipfel hoch im Unbegreiflichen schwebte und nur den einen grausamschönen Gedanken erweckte, ihn zu erklettern und sich dann mit einem Lächeln hinabzustürzen in die Unendlichkeit, in das wissende Dunkel.
    Mit einem Seufzer nahm Kummer den Brief wieder auf und schraubte die Lampe ein wenig niedriger, weil das unreine Öl einen übelriechenden Qualm abzusondern begann.
    »Am nächsten Abend«, las er weiter, »war ich erneut der Gast Ihres liebwerten Vaters. Doch schien er mir im Vergleich zu gestern sehr bedrückt und fahrig, er sprach ohne Zusammenhang, sprunghaft, wie es nicht seine Art ist, er spann die Gedanken nicht zu Ende, bedeckte oft, als befalle ihn Ermüdung, die Augen mit der Hand und schien mir dankbar, als ich mich entschuldigte, eine Besprechung vorgab und ihn verließ.
    Das veränderte Wesen Ihres Herrn Vaters schien mir unerklärlich. Eine häusliche Ursache hatte es nicht, denn Ihre Frau Mutter war ebenso entsetzt und ratlos, wie ich es war, und drang vergeblich in den unerklärlich stillen Mann, von dessen Lebhaftigkeit und sprudelndem Geist nur noch die Funken unter einer fremden Asche schwelgten.
    Da der Abend angebrochen war, ging ich in die herrliche Dresdener

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