Das einzig glueckliche Ende einer Liebesgeschichte ist ein Unfall
Iulana Romiszowska erscheint, spüre ich heimliche Blicke der Zustimmung, als seien sie erleichtert, dass sie gekommen ist.
Die Abstände zwischen unseren Treffen sind unterschiedlich: Manchmal kommt sie zwei Tage hintereinander, dann kann es sein, dass sie sich eine Woche lang nicht blicken lässt. An diesen leeren Tagen wie heute sitze ich vor meinem kleinen aufgeschlagenen Computer, überfliege die Zeitungen, öffne und schließe mechanisch die verschiedenen Fenster und konzentriere mich auf Meldungen über Mord und Totschlag, die einzigen Nachrichten, die mich wirklich interessieren, und gerade lese ich eine Reportage, die mich an Iulana erinnert: Am Ufer der Donau wurde eine zweiundzwanzig Jahre alte Französin mit Namen Ophélie Bretnacher tot aufgefunden. Ich überlege mir, wer wohl der Hamlet dieser ertrunkenen Ophelia sein könnte, deren Helsingør Budapest ist, in derselben Gegend der Welt, aus der meine rumänische Polin auch kommt.
Und diese Ophelia aus den Nachrichten erinnert mich an eine andere, die ebenfalls nicht Iulana ist, die Unbekannte aus der Seine, die französische Selbstmörderin, deren anonymes Lächeln in einem Gipsabdruck verewigt ist, den ein Angestellter des Leichenschauhauses angefertigt hat, fasziniert von der Schönheit der jungen Frau, die 1900 aus dem Fluss gefischt wurde – ganz in der Nähe des Ortes, an dem einundachtzig Jahre später der berühmte Kannibale Issei Sagawa seinen japanischen Wurzeln huldigte und mit Hingabe eine andere Ausländerin, Holländerin diesmal, verspeiste, die mit ihm an der Sorbonne Literatur studierte.
Der Tod ist – wie Herr Languste Okuda zu sagen pflegt – fotogen. Das Gesicht der Unbekannten aus der Seine inspirierte nicht nur Rilke, Nabokov und Man Ray, der sie fotografierte, sondern schmückte am Ende Fassaden und hing jahrzehntelang an der Wand im Büro meines Vaters. Heute befindet es sich an der Tür zum Periskopraum. Außerdem war es zum Vorbild für die Gesichter von Erste-Hilfe-Puppen in aller Welt, und wurde, wie Herr Okuda sagt, wegen der Mund-zu-Mund-Beatmung zur meist geküssten Frau aller Zeiten. Würde ich diese Geschichte Iulana Romiszowska erzählen, die auch schon oft geküsst wurde, bestimmt mehr als ich andere Frauen geküsst habe, glaube ich, dass sie so etwas sagt wie:
„Das klingt logisch, Shun! Ich mache unweigerlich alle Männer zu Hamlets …
Zumindest sagt dies die Kopie der Ausländerin, die ich in meinem Kopf mit mir herumtrage und die zu allem, was ich denke und sehe, etwas zu sagen hat.
Bevor ich in dem Café anfange zu überlegen, wie ich Iulana den Weg zu ihren späteren Geliebten abschneiden kann, jenen Fremden, die sie küssen wird, wenn ich nur noch ein kleines Kapitel in ihren vielfältigen Erinnerungen sein werde, und wie ich dies vielleicht nach dem Vorbild Sagawas und seiner Ausländerin in Paris machen könnte, öffnet sich kraftvoll die Tür, und ich verliere sofort jeden Bezug zu den Meldungen vor mir, zu Shakespeare, Herrn Okuda und anderen lebenden Wesen an diesem oder jedem anderen Ort, denn nun betritt Iulana Romiszowska das Café.
Sie bestellt ein Croissant und einen doppelten Espresso, verschlingt beides hastig wie ein hungriges Tier. Dann stellt sie Fragen zu meiner Familie.
„Hast du Geschwister? Wie heißen sie? Wer waren deine Eltern?“
„Wozu willst du das wissen?“
„Manchmal glaube ich, ich weiß nur sehr wenig von dir.“
In dem Maße, wie ich ihr alles aus meinem Leben verschweige, beginnt sie, mir aus ihrer Kindheit zu erzählen, darüber, wie gleichgültig ihre Mutter war und wie ihr Vater, ein polnischer, musikbegeisterter Konsul, sie zu Konzerten mitnahm und dass dies ihre Art war, miteinander zu kommunizieren. Und sie erzählt von der Begeisterung ihres Vaters für die Romantiker, für Schostakowitsch, zitiert sogar ein paar Stücke für Piano, Sonaten von Brahms und Schumanns „Carnaval“ und erinnert sich daran, wie ihr Alter sagte, dies sei das Gegengift gegen die technisierte, mechanisierte Welt, in der sie lebten, das wissenschaftliche Zeitalter ihres Jahrhunderts, und welch eine Ironie es doch sei, dass sie ausgerechnet in Tokio gelandet sei; was der Alte wohl von dieser Stadt halten würde? Ich lächle still bei dem Gedanken an Misako, die Tochter eines ahnungslosen Industriellen, die zu dieser oder jeder anderen Art von Unterhaltung ganz bestimmt unfähig wäre.
„Was ist so lustig, Shun?“
Ich sage, es ist nichts, und sie erzählt weiter von Herrn
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