Das einzig glueckliche Ende einer Liebesgeschichte ist ein Unfall
Romiszowska, wie groß und stark er war und wie intelligent, wie sie im Schoß des Alten versinken konnte, dessen Vater heldenhaft im Kampf um Vilnius, das heute die Hauptstadt von Litauen ist, ums Leben gekommen war, als Polen 1939 von den Sowjets eingenommen wurde, und jetzt kann ich meinen Neid auf diese toten Männer kaum noch zurückhalten.
Kaum war ich allein, kaufte ich Karten für ein Pianokonzert in der Kani-Hoken Hall in Gotanda – ich rechnete mit dem Glücksfall, dass sie am nächsten Tag kommen würde.
Ich war nur wenige Male auf so einem Konzert, doch oft genug, um zu wissen, dass man vor dem Erwerb der Karten entscheiden muss, wo man sitzen will. Sitzt man weit links, kann man die weißen und schwarzen Tasten des Instruments gut erkennen und die Bewegung der Hände und das Hämmern der Finger des Pianisten.
Kauft man dagegen Karten für Plätze rechts vom Klavier, sieht man weder die Tasten noch die Hände des Solisten, dafür aber seinen Gesichtsausdruck: die zur Dynamik der Musik geschwungenen Brauen, seine Schultern und den zu den Ostinati pendelnden Hals, ein sich bewegendes Notenblatt auf seiner sich in kurzen Zuckungen zusammenziehenden Stirn, das metronomartig die Zeit gliedernde Zwinkern seiner Augen, die Bewegung seiner Füße auf den Pedalen – all das, was uns ahnen lässt, dass dieser Mensch für den Ton, den wir hören, tatsächlich verantwortlich ist, auch wenn wir nicht wirklich sehen, dass er spielt.
Manchmal sieht man im aufgestellten Deckel des Flügels, aber nur, wenn er gut poliert ist, das wogende und spiegelverkehrte Abbild der über die Tastatur tanzenden Hände des Pianisten, wie Schatten zweier Raben, die das gelbe Licht einer Straßenlaterne in eine dunkle Nacht brennt. Oder wie die Fremde, die mich durch einen Schleier aus Schweigen und Unverständnis hindurch anlächelt.
Iulana Romiszowska bringt mich, anders als alle anderen, dazu, immer rechts im Theater zu sitzen.
17
Und nun sehen wir unser erstes gemeinsames Essen in einem koreanischen Restaurant in Odaiba. Hinter den Umrissen der blonden, ungekämmten Haare von Iulana Romiszowska funkelt blau die Bucht in Millionen winziger, sich mit dem Wasser bewegender Spiegel. Sanft ist von hier aus die unablässige Bewegung der Autos und Züge über die Brücke von Tokio zu sehen – die ganze Stadt wirkt wie ein harmloses Spielzeug.
Mit den Hashi lege ich ein Stück rohes Fleisch auf den koreanischen Grill, während es gart, trinke ich ein Asahi-Bier und beobachte den kerzengerade zur metallenen Dunstabzugshaube aufsteigenden Rauch. Gefesselt von diesem Bild hätte ich fast nicht gemerkt, wie sich durch den fettigen Nebel, der den Raum zwischen mir und Iulana Romiszowska füllt, die Gestalt von Herrn Languste Okuda unserem Tisch nähert.
Mein Vater, mit vollkommen weißen Haaren und weißem Bart, trägt einen Kimono mit den Familieninsignien, dazu Holzsandalen und auf der Nase eine runde, verschmierte Brille. In seiner rechten Hand hält er die Langustenmaske mit den Fühlern und Scheren aus Gummi, die über den Boden schleifen.
Nun also
eine Ausländerin
Sohn?!
Herr Languste findet immer die unpassendsten Momente, um sich in meine Realität zu drängen, doch das erste Essen mit Iulana Romiszowska in einem koreanischen Restaurant in Odaiba zu missachten, geht eindeutig zu weit.
Ach, was trägt mir
die Asche deiner toten Mutter
zu Ohren!
Um meinen Ärger zu überspielen, den Geist meines lebendigen Vaters zu sehen, das verblichene und verkommene Abbild meiner selbst, bestelle ich noch ein Bier. Wenn ich alte Leute sehe, vor allem meinen Vater, spüre ich, dass ich dem Tode nicht mehr und nicht weniger nahe bin als jeder von ihnen, und das beunruhigt mich zutiefst: Sie lassen mich glauben, ich sei womöglich noch vor meinem Körper gealtert.
Wie immer beachtet Herr Languste Okuda mich nicht, sondern deklamiert ohne jede Metrik entsetzliche Verse über Iulanas Schulter hinweg:
Shunsuke, sieh!
Hinter der Iris
von Iulana Romiszowska
verbergen ihre Augäpfel
Flugformationen
Lauernde Tiger
Wasseruhren
Den abnehmenden Mond in diesen russischen Augen
Und die Zeit dieser Uhren ist falsch
Und die Zeit dieser Uhren ist obszön
Wie alle anderen Gäste des Restaurants kann auch Iulana Romiszowska die Erscheinung von Herrn Okuda nicht sehen. Ihre Augen nach draußen gerichtet hebt sie nun ihr Kinn von der Handfläche und trinkt eine Apfellimonade. Beim Einsaugen der Flüssigkeit durch einen Strohhalm ziehen sich
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