Das einzig glueckliche Ende einer Liebesgeschichte ist ein Unfall
und zieht Höschen und Strumpfhose wieder hoch. Iulana Romiszowska lässt vorsichtig das Kleid über Kazumis dezent athletischen, bleichen Körper hinabgleiten und zwingt sich, dabei nicht nach unten zu sehen.
Kazumi drängt sich an Iulana vorbei aus der Toilettenkabine und sagt etwas, das diese schon nicht mehr versteht. Iulana bleibt alleine zurück in der Kabine und sieht das schmutzige Papier immer noch in der Schüssel liegen, reglos auf einem kleinen Kreis unbeweglichen, dunklen Wassers. Bevor sie die Spülung drückt, überwindet Iulana Romiszowska ihr Schamgefühl und starrt in die Schüssel. Mit dem bitteren Geruch, der ihr in die Nase steigt, durchläuft eine Welle von Zärtlichkeit ihren Körper, von den Fußspitzen bis in den Nacken, und zum ersten Mal glaubt sie, sie könnte sich wirklich verliebt haben in diese Frau.
Als sie, ein Tablett mit einer Flasche Green Label, vier Gläsern und einem kleinen Kübel mit Eis balancierend, durch den Raum gleitet, schreibt Iulana Romiszowska diese Geschichte für sich noch einmal neu, und gerade als sie denkt „Etwas zu wollen und etwas wollen zu dürfen sind zwei sehr verschiedene Dinge“ oder was auch immer verantwortungslose Beobachter wie wir zu einem so einfachen Satz zusammenfassen könnten, bemerkt sie, dass ich sie von Tisch neun aus beharrlich anstarre.
Ich sehe gut sieben Jahre jünger aus als ich bin, einunddreißig, obwohl ich einen schwarzen Anzug trage und, anders als bei den anderen Gästen, mein Schlips nicht gelockert ist. Am Handgelenk trage ich eine silbern glänzende Uhr, so eine mit mehreren verchromten Ringen rund um das Zifferblatt. Verchromt sind auch die Manschettenknöpfe, die aus dem Ärmel meines Jacketts lugen, wenn ich den Arm nach dem Glas auf dem Tisch ausstrecke. Die Nägel meiner schlanken, weißen Finger sind gepflegt, und Iulana denkt, ich habe bestimmt eine Ehefrau, die mir die Maniküre macht, doch dann schaut sie auf meine Hände und sieht keinen Ehering. Meine Titan gefasste Brille ist rechteckig und darüber kleben einige Haarsträhnen am Schweiß meiner breiten Stirn. Mein Gesicht erweckt Vertrauen und es sieht aus, als wäre ich der Chef dieser Gruppe, die an den zwei Tischen sitzt – denkt nun Iulana Romiszowska.
Was sie beunruhigt, ist, dass Kunden sie nie derart anschauen, wenn Hostessen dabei sind, vor allem nicht, während Kazumi tanzt. Mein starrer Blick lässt ein bittersüßes Gefühl in ihr aufsteigen. Iulana Romiszowska fühlt sich beobachtet wie von einem Kind.
8
„Streng sein heißt, aufrichtig sein.“
(Foto aus Ordner Atsuo Okuda einfügen)
Nach langer Recherche ist es der Redaktion unserer Zeitschrift „Für immer Literatur“ gelungen, ein Interview mit dem zurückgezogen lebenden Dichter Atsuo Okuda zu bekommen, der seit fünfunddreißig Jahren, seit sein letzter Gedichtband veröffentlicht wurde, für den er seinerzeit den Choku-Preis erhielt, nicht mehr mit der Presse gesprochen hat. Trotz der außergewöhnlichen Auflagen, die der Schriftsteller für dieses Interview vorgab, veröffentlichen wir hier das Ergebnis. Die Bedingungen Herrn Okudas, der unlängst 86 Jahre alt wurde, sind dabei streng befolgt worden: Alle Fragen wurden einzeln auf Postkarten geschrieben und auf der Insel Shikoku frankiert und abgeschickt. Es durften auch nur die Antworten veröffentlicht werden, niemals die Fragen. Wir benötigten fast ein Jahr, da sich Herr Atsuo Okuda bisweilen Monate für die Beantwortung mancher Karten Zeit ließ.
Unsere letzte Frage blieb von Herrn Okuda leider unbeantwortet, sodass das Interview nicht abgeschlossen ist, wofür wir die Leser um Entschuldigung bitten. Man beachte, dass seine Antworten keinesfalls jenen Stil transportieren, den Herrn Okudas Dichtung prägt, die von der Wissenschaft als die letzte große Äußerung der Tanka-Poesie in Japan bezeichnet wird.
Frage: …?
Antwort: Dichtung war für mich nie Prüfung oder ein Risiko, sondern etwas, das in mir war und das ich versuchte, mit größter Genauigkeit zum Ausdruck zu bringen.
Frage: …?
Antwort: Je strenger man mit sich selbst ist, desto besser gelingt es, man selbst zu sein.
Frage: …?
Antwort: Durch die Entdeckung, dass einem nichts gehört, dass man aus dem Nichts kommt und in das Nichts zurückkehren wird. Man selbst zu sein, heißt, aufhören zu sein.
Frage: …?
Antwort: Streng sein bedeutet für mich, aufrichtig zu sein. Mir nichts zu ersparen. Nicht einmal, was ich nicht empfinden wollte. Nicht einmal,
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