Das einzig glueckliche Ende einer Liebesgeschichte ist ein Unfall
was ich nicht sehen wollte.
Frage: …?
Antwort: Als mich meine Jugend verließ, gab ich den Glauben auf, Elend und Trauer seien tiefer als die Fröhlichkeit. Zugleich lernte ich zu erkennen, was andere nicht sehen, nicht zu sehen gelernt haben, da sie blind sind für das Absolute. Sehen ist eine Quelle unendlicher Lust.
Frage: …?
Antwort: Bevor ich als Dichter entdeckt wurde, war ich bereits ein an Unverständnis und Anonymität gewöhnter Mensch. Ich habe einen Großteil meines Lebens unbemerkt verbracht und war damit vollkommen glücklich. Heute suche ich genau dieses wieder. Unbemerkt zu sein ist ein Privileg, das von den Menschen üblicherweise verkannt wird.
Frage: …?
Antwort: Zu wissen, wohin man schauen muss, wie ein unsichtbarer Fotograf, der sein Objektiv auf etwas richtet, das niemandem auffällt.
Frage: …?
Antwort: Das Spiegelbild einer über eine Pfütze gehenden Frau, das Licht des Sonnenuntergangs, das sich im Stamm einer Eiche bricht. Bilder dieser Art bereiten mir absolutes Vergnügen. Doch anders als andere habe ich nicht das Bedürfnis, etwas festzuhalten. Denn festhalten bedeutet, sich an etwas zu binden, und daran liegt mir immer weniger.
Frage: …?
Antwort: Auch spüre ich, dass ich mich von meinen Gefühlen werde lösen müssen. Dann werde ich nicht einmal mehr die Augen öffnen müssen.
Frage: …?
Antwort: Vielleicht steht dieses fiebrige Verlangen der Menschheit, alles festhalten zu müssen, in Zusammenhang mit dem Wunsch, der Welt einen Sinn zu geben, wie ein Bibliothekar, der Karteikarten sortiert und die Bücher in einer Ordnung hält. Insbesondere dieses Bedürfnis besitze ich nicht mehr. Ich sehe, ich häufe jedoch nichts mehr an. Es ist, wie die Unordnung zu akzeptieren.
Frage: …?
Antwort: Meine Stimme war nur ein Echo.
Frage: …?
9
Lange bevor er schließlich Herrn Suguro Shibata, Professor der Vereinigung des Harmonischen Fugu von Tsukiji, in die klebrigen Hände fällt, schwimmt Fugu Nr. 572 aus Charge 09.4509 durch das eisige Wasser des nördlichen Pazifik.
Fugu Nr. 572 aus Charge 09.4509 spürt die Strömung sich durch seine Schuppen bewegen. Spürt jeden Punkt seines Körpers anschwellen und sich wieder leeren wie ein Ballon. Er hat ein kurzes Gedächtnis und vergisst nach wenigen Metern bereits wieder, wohin er schwimmen muss, um zu überleben. Aber stets erlangt Fugu Nr. 572 aus der Charge 09.4509 kurz das instinktive Gefühl, weiter ein Fugu sein zu müssen, und weiß wieder, wie er schwimmen muss, und fährt fort mit seinem Leben, bis er es erneut vergisst und alles von vorn beginnt: Die Bewegungen, der Appetit auf Organismen aus der dunklen Tiefe des Ozeans, die Wiedererlangung der Sinne, die Rekonstruktion seines Bewusstseins als Fisch und seiner kreisförmigen Sicht auf die Dinge.
Von dem kurzen Moment an, in dem die von Fugu Nr. 572 aus Charge 09.4509 erlangten Kenntnisse von der Welt verschwinden, bevor alles wieder von Neuem beginnt in der blauschimmernden, unterseeischen Ruhe dieser Realität, ist der Fugu vollkommen leer. Der Fugu erinnert sich nicht mehr, wie er sich bewegen muss, um zu schwimmen (er wird getragen von seiner Trägheit), und der Prozess des Wiedererlernens, der nur ein paar Mikrosekunden benötigt, hat noch nicht eingesetzt.
In den Pausen seiner diskontinuierlichen Existenz, die sich im Lauf eines Tages hunderttausendfach wiederholen, ist der Fugu ein Nichts. Nicht einmal Instinkt. Er strebt nach nichts und hätte somit auch nichts zu beichten.
Um diesen Moment beneide ich ihn am meisten, den Fugu.
10
Iulana Romiszowska sieht diskret über meine Avancen hinweg, entschuldigt sich auf Englisch und verschwindet hinter dem Tresen. Kiyomi, meine Begleiterin aus Fukuoka, versucht erst gar nicht, ihren verletzten Stolz zu überspielen, und hört auf, mir wie vereinbart zu Diensten zu sein. Bietet mir, als ich meine Zigaretten aus der Hemdtasche ziehe, kein Feuer mehr an. Zündet meine Zigarette nicht an. Stattdessen schaut sie auf die Uhr – eine Kriegserklärung. Sie ist genauso beleidigt, wie meine Kollegen betrunken sind.
Mir ist das egal. Von mir aus könnten hier alle an Gas ersticken, wenn ich nur mit der Frau alleine sein könnte, die Misako nachfolgen sollte und deren unaussprechlichen Namen Iulana Romiszowska ich gerade versuche herauszubekommen.
Als die Dunkelheit sich bereits langsam von der Straße zurückzieht, setze ich die betrunkenen Männer in Taxis. Die Raben und die frühmorgendlichen Müllsammler
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