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Das einzige Kind

Das einzige Kind

Titel: Das einzige Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Holt
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jemand vom Personal gewesen sein muß.«
    »Oder eins von den Kindern«, murmelte Billy T. und schauderte.

    Es wurde immer kälter.
    Am schlimmsten war der Hunger, obwohl er auch fror.
    Eigentlich hätte er sich wärmer anziehen müssen. Eine Strumpfhose zum Beispiel wäre jetzt gut gewesen. Zum Glück hatte er eine dicke Jacke im Zimmer gehabt, aber seine Lederjacke, die unten im Windfang hing, unter seinem Namen aus munteren Blumenbuchstaben, wäre noch besser gewesen. So weit hatte er allerdings nicht gedacht. Oder hatte es nicht riskieren wollen. Die Turnschuhe waren für diese Jahreszeit jedenfalls total ungeeignet. Und seine Zunge tat schrecklich weh.
    Das mit der Rettungsleine war ganz einfach gewesen. Glenn und Terje hatten behauptet, er traute sich nicht. Aber er hatte einfach keinen Bock gehabt. Da noch nicht. Er hatte auf nichts Bock, wenn andere ihn herumkommandieren wollten. Aber wenn es sein mußte, ging es ganz leicht. Sogar mit der Schultasche auf dem Rücken.
    53
    Wie weit er schon gelaufen war, wußte er einfach nicht. Ihm kam es vor wie viele Dutzend Kilometer.
    »Ich bin sicher noch in Oslo«, sagte er leise, um sich selbst zu überzeugen, und dabei lugte er aus der Garage und sah unter sich eine Million Lichtquellen unter einer rosa Dunstglocke.
    Es war blöd, daß er kein Geld hatte. Und daß er daran nicht vorher gedacht hatte. In einer Socke, tief hinten im dritten Fach von oben im Schrank, in dem Zimmer, das er mit Raymond teilte, steckten hundertfünfzig Kronen. Die hatte seine Mutter ihm zugesteckt. Hundertfünfzig Kronen waren ein Haufen Geld.
    Vielleicht sogar genug für ein Taxi nach Hause. Im Grunde hatte er geglaubt, daß er dieses Geld nur für den Zweck bekommen hatte. Sonst wäre eine Summe von hundert oder zweihundert Kronen logischer gewesen.
    »Logisch bedeutet, leicht zu verstehen.«
    Er klapperte mit den Zähnen und preßte die Hände auf den Bauch, während er einen langen, leisen Schrei nach Essen ausstieß.
    »Ich verhungere hier noch«, sagte er, und seine Zähne führten einen wilden Tanz auf. »Entweder ich erfriere, oder ich verhungere.«
    Das Haus, zu dem die Garage gehörte, in der er sich versteckt hatte, war ganz dunkel. Obwohl seine Swatch zeigte, daß es schon nach neun Uhr abends war. Er hatte erwartet, daß gegen fünf jemand nach Hause kommen würde. Aber niemand hatte sich blicken lassen. Und hier stand auch kein Auto, obwohl es eine sehr große Garage war. Vielleicht waren die Hausbewohner verreist. Sicher wohnte hier eine Familie. Vor der Haustür stand ein schönes Rodelbrett, so eins mit Kufen und Steuerrad. Zu Weihnachten hatte er ganz sicher mit einem solchen Brett gerechnet, aber statt dessen hatte er einen Farbkasten bekommen. Seine Mutter hatte traurig ausgesehen. Aber er wußte, daß sie wenig Geld hatte. Er hatte außerdem einen Power 54
    Ranger gekriegt. Den hatte er sich immerhin gewünscht. Aber seine Mama hatte vergessen, daß er den roten wollte. Der rote war viel besser. Er hatte den grünen bekommen. Genau wie vor zwei Jahren, als er sich Rafael von den Turtles gewünscht hatte und mit Michelangelo abgespeist worden war.
    Vielleicht war er ja doch ein bißchen eingeschlafen. Auf jeden Fall war er überrascht, als er sah, daß es schon nach Mitternacht war. Mitten in der Nacht. Er war lange nicht mehr so spät noch wach gewesen. Das Haus war noch immer leer. Als er aufstand, wurde ihm vor Hunger fast schwindlig. Ohne wirklich darüber nachzudenken, ging er zur Haustür. Natürlich war sie abgeschlossen. Mit einem normalen und einem
    Sicherheitsschloß.
    Er stand auf der Betontreppe, seine Hand lag unschlüssig auf dem schmiedeeisernen Geländer. Lange. Dann lugte er über die Kante und entdeckte unten ein ziemlich großes Kellerfenster, dicht über dem Boden. Er ging die vier Stufen nach unten, und ohne sich die Sache weiter zu überlegen, benutzte er das Rodelbrett als Rammbock und zerbrach das Fenster. Er hatte schon Angst, sich nicht hindurchzwängen zu können, aber das war kein Problem. Zuerst warf er seine Tasche hinein. Innen stand nur einen Meter vom Fenster entfernt ein langer Tisch, es war also nicht schwer, nach unten zu gelangen. Er hatte im Dunkeln immer ziemliche Angst, deshalb suchte er zunächst einen Lichtschalter, und erst nach einigen Minuten ging ihm auf, daß es sicher keine gute Idee war, in einem fremden Haus Licht zu machen. Er hielt sich an der Türklinke fest, knipste das Licht wieder aus und betrat einen kleinen

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