Das Ekel von Datteln
gepresst, gehämmert und geschweißt. Ein paar Lastwagen standen vor den Toren oder wurden gerade eingewunken, die Stapelpiloten schoben Kisten auf die Ladeflächen, kräftige Fäuste drückten schwebende Kranlasten in die richtige Position.
»Viele junge Leute!«, meinte Saale anerkennend.
Die Sekretärin nickte.
»Vielleicht sehen Sie sich die Produktionsstraße in der großen Halle an«, empfahl sie. »Da sieht es heute ganz anders aus…«
»Machen wir«, meinte Saale. Aber als er bemerkte, dass Mager schon unterwegs war, blieb er stehen.
»Sie kennen sich aber gut in der Produktion aus. Sieht man selten bei Büromenschen …«
Ihre Augen blitzten auf. Mager hätte das als Spott interpretiert, aber Saale empfand das ganz anders.
»Ich bin ja auch schon sieben Jahre hier«, meinte sie dann.
»So alt sind Sie doch noch nicht!«
»Ich habe hier gelernt. In einem Betrieb wie diesem muss man immer mal woanders einspringen. Da lernt man den Laden kennen …«
»Komm, Saale, die Pflicht ruft«, platzte Mager dazwischen.
In der kleinen Halle begannen sie. Sie postierten sich im Mittelgang, richteten das Stativ ein und machten Kamera und Rekorder klar. Dann warteten sie auf eine geniale Eingebung.
Die kam in Gestalt von fünf Arbeitern, die unter der Last eines Metallgitters stöhnten. Mager ließ die Kamera ihren schweren Gang verfolgen und geizte nicht mit Ranfahrten auf verschwitzte Gesichter.
»Hör auf«, raunte Saale plötzlich. »Wir drehen doch keinen Sozialreport für den DGB, du Idiot. Wenn Puth zahlt, macht die Arbeit Spaß …«
»Hurenjournalist«, knurrte Mager und richtete die Kamera auf die Leute hinter der Spritzkabine. Er filmte, bis die Kontrolllampen an Rekorder und Kamera signalisierten, dass sich die erste 20-Minuten-Kassette dem Ende näherte.
In diesem Augenblick traten vier Männer ins Bild, unter ihnen Gellermann. Jeans und Krokodilpullover hatte er zu Hause gelassen, stattdessen trug er dunkelblaue Nadelstreifen. Eine hellblaue Krawatte mit gelben Pünktchen wehte ihm wie eine Staatsflagge voran. Während er die Halbglatzen seiner Nebenleute mit souveränen Gesten mal nach rechts, bald nach links rucken ließ, redete er auf sie ein wie ein Urwaldmissionar auf die Heidenkinder.
Gellermanns Gesprächspartner waren dicht an den Sechzigern. Zu ihren Beamtenbrillen trugen sie ein schlichtes, angeknittertes Grau, das offenbar zwei Preisklassen unter dem Frack des Junior-Chefs lag. Mehr als auf die Reden des Prokuristen achteten sie auf ihren Weg, um sich keine Ölflecken, Lackspuren und Brandlöcher einzufangen.
Mit zwei Schritten Abstand folgte ein Mann, der noch weniger Haare hatte als die beiden Grauen. Ein Dutzend Jahre früher musste er noch ein agiles Kraftpaket gewesen sein. Jetzt aber hingen die breiten Schultern durch, und sein Schädel leuchtete wie eine Tomate. Erst als der Prokurist an einer Maschinenbank stehen blieb, schloss er steifbeinig zu den anderen auf. Er öffnete seine braune Anzugjacke und fächerte sich Luft zu.
Da entdeckte Gellermann die PEGASUS-Delegation. Mitsamt Gefolge kam er auf sie zu.
»Dies sind zwei der besten Filmemacher aus dem Revier«, begann er und kniff ihnen ein Auge zu.
»Herr Puth« – mit einer kaum merklichen Kopfbewegung dirigierte er die Blicke des Film-Teams zu dem Erschöpften hinüber – »hat die Herren beauftragt, einen 20-Minuten-Film über Firma und Produktion zu drehen, den wir Kunden und Interessenten zur Verfügung stellen. Sechs Sprachen, alle gängigen Videotypen. Das ist ein Teil unserer neuen Verkaufs- und Werbestrategie. Das Papier finden Sie in den Unterlagen auf Seite acht.«
Saale wischte seine nasse Rechte an der Cordhose ab, aber Händeschütteln war nicht angesagt. Stattdessen warfen die Halbglatzen ehrfürchtige Blicke auf die Kameraausrüstung und nickten. Mager grinste. Ihre Technik war fünf Jahre alt und hätte Kennern nur ein müdes Lächeln entlockt.
»Das Team hat soeben fürs Fernsehen eine Reportage über die Randzonen des Ruhrgebiets abgedreht«, fuhr Gellermann mit seinem Märchen fort. »Natürlich wurde auch bei uns, einem der größten Arbeitgeber der Stadt, gefilmt. Was wir dabei sahen, hat uns so überzeugt, dass wir nicht gezögert haben …«
Mager und Saale wechselten einen stillen Blick. Es gab Momente, da fanden sie sich richtig sympathisch.
»Entschuldigen Sie, dass ich Sie nicht bekannt gemacht habe«, sagte Gellermann, bevor ihm einer der PEGASUS-Männer in falscher
Weitere Kostenlose Bücher