Das Ekel von Datteln
wissen Sie das so genau?«
»Weil …«
Er atmete schwer und winkte seine Frau heran. Sie öffnete ein Röhrchen und steckte ihm eine Tablette in den Mund. Mit einem Glas Wasser spülte er sie hinunter.
»Reg dich nicht auf, Gustav …«
Er verzog den Mund und sprach weiter, aber wesentlich langsamer als zuvor.
»Von sich aus hat sie gar nichts gesagt. Aber ich habe sie gemocht wie, ja, wie eine Tochter. Und dann hat sie mir eines Tages alles erzählt …«
»Aber – warum sollte er sie umbringen?«
»Weil … Ich habe nicht behauptet, dass er es war. Aber meistens standen ihm die Schulden bis zum Hals. Und Sie wissen das sicher selbst: Manche Leute begehen einen Mord schon für fünf Mark …«
»Gibt es für Ihren Verdacht einen konkreten Anhaltspunkt?«
»Nein. Aber zutrauen würde ich es ihm …«
Es war unverkennbar: Das Sprechen strengte ihn an. Die Stimme wurde leiser, die Augen ruhiger.
»Zwei letzte Fragen, Herr Puth: Haben Sie eine Ahnung, warum Ihre Sekretärin nach Vlieland gefahren ist?«
»Nein. Nicht die Spur. Ich wusste ja nicht mal, dass es diese Insel überhaupt gibt.«
»Danke, Herr Puth. Und gute Besserung!«
Er nickte, sah sie an: »Sie haben von zwei Fragen gesprochen …«
»Sie haben schon beide beantwortet.«
»Und jetzt?«, fragte Brennecke, als sie in den Wagen kletterten. Demonstrativ studierte er die Digitalanzeige seiner Armbanduhr. Seit dreiundzwanzig Stunden waren sie im Dienst.
»Nach Hause«, entschied Lohkamp, und Brennecke atmete auf.
»Zu dem Geschiedenen fahren wir morgen. Vorher besorgst du dir ein paar Informationen über Michalski: Werdegang, Lebensgewohnheiten, Schulden. Vielleicht ist es ganz gut, das zu wissen …«
20
Der Elektro-Wecker lieferte die dritte Zugabe, als Magers Faust gegen die Tür hämmerte: »In zehn Minuten Abfahrt!«
»Du hast sie nicht alle«, knurrte Saale und gähnte. Als er Minuten später seine verklebten Blinker öffnete, grinste ihn die Skala mit den Zeitangaben aus aller Welt an: Rio, Bangkok, Tokyo. Und er musste nach Datteln.
Während er das Hemd zuknöpfte, trat er ans Mansardenfenster, um den Tag zu begrüßen. Im Hof war Mager damit beschäftigt, den Alu-Koffer mit den Lampen zum Lada zu tragen. Bis er den Rest verstaut hatte, war Saale auch mit seinem Orangensaft fertig.
Zwanzig Minuten nach dem Wecken sank der Exhamburger auf den Beifahrersitz: »Wunderschönen guten Morgen, lieber Klaus-Ulrich. Gut geschlafen?«
Mager ignorierte die Frage. Angeekelt äugte er auf die Schnitte Knäckebrot in Saales Hand: »Krümmel mir bloß nicht den Wagen voll, du Arsch.«
Die nächsten siebenundzwanzig Minuten schwiegen sie sich feindselig an. Aber vor Puths Bürobunker, auf dessen Dach nun der neue Firmenname prangte, schaute Saale demonstrativ nach hinten: »Danke auch fürs Einpacken. Aber wo hast du die Kamera gelassen?«
Magers Blick jagte ihn nach draußen, bevor der Wagen stand. Er stolperte, aber eine weiche Wolke fing ihn auf.
»Nicht so stürmisch«, sagte eine sanfte Stimme.
Vor ihm stand die Schöne aus dem Sekretariat. Sie trug ein beigefarbenes Jackett mit breiten Schulterpolstern, und auf der weißen Seidenbluse baumelte ein Medaillon. Der Ledergürtel war mit Messingteilen verziert und so breit, dass er den braunen Leinenrock fast verdeckte.
Saale sah nichts von alledem. Er sah nur ihre Augen. Die waren groß und braun und lächelten.
»’tschuldigung«, meinte er endlich.
»Sie sind doch von PEGASUS?«
»Leider ja.«
»Herr Gellermann bittet Sie, schon einmal mit den Aufnahmen zu beginnen. Er kann leider erst um zehn Uhr nachkommen. Ich werde Sie solange begleiten. Ich heiße Helga Kronenberger.«
»Extrem angenehm. Holger Saale, Regisseur, Drehbuchautor, Toningenieur …«
»… und mehrfach vorbestrafter Hochstapler!«
»Das ist mein Kameramann«, sagte Saale und stellte damit die realen Machtverhältnisse bei PEGASUS auf den Kopf. »Er kommt leider immer im falschen Augenblick.«
Sie reichte ihm die Hand. Saale griff zu und hielt sie mindestens vier Sekunden zu lange fest.
»Haben Sie eine Vorstellung, wo Sie beginnen wollen?«, fragte sie schließlich.
Mager schüttelte den Kopf, Saale nickte.
Sie lächelte spöttisch: »Vielleicht kommen Sie einfach mal mit.«
»Klar«, strahlte Saale. »Wohin Sie wollen!«
Der Betrieb war wie verwandelt. Die Tore der Hallen waren weit geöffnet, Gabelstapler bretterten hin und her, Blaumänner und Grünkittel wieselten herum, es wurde
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