Das Ekel von Datteln
…«
Inzwischen hatten mehrere PKW und ein VW-Bulli am Straßenrand angehalten. In sicherem Abstand bildeten die Schaulustigen einen Halbkreis um die Szene. Einer zückte eine Minox und knipste los, als hätte er den Kanzler auf einem Skateboard entdeckt.
Ein Signalhorn raste heran. Michalski müsste dabei sein, dachte Lohkamp. Aber dann fiel ihm ein, dass der Geschiedene seine Schicht schon hinter sich hatte. Der helle Schimmer am Horizont verblasste wieder.
Ein Wagen bremste, das Gellen der Signalanlage erstarb, Türen wurden aufgestoßen.
»Mensch, Lusebrink«, meldete sich eine neue Stimme. »Du willst wohl in die Bildzeitung?«
»Quatsch nicht, hilft mir lieber beim Verpacken.«
»Abwarten …«
Schritte kamen näher, und in Lohkamps Blickfeld tauchte ein Polizeiobermeister auf, der irgendwo in der zweiten Hälfte der Dreißiger stecken musste. Im Gegensatz zu den beiden anderen wirkte er eher schmächtig. Um sein Kinn rankte ein Bärtchen – zwanzig Jahre früher das Erkennungssignal für den intelligenteren Teil des Polizeikorps.
Auf der anderen Seite des Golf blieb der Neue stehen und betrachtete das Fahrzeug. Plötzlich bildete sich auf seiner Stirn ein Waschbrett. Er hob den Blick und suchte Lohkamps Augen.
»Du meine Güte«, sagte er und ging los.
»Pass auf«, kreischte Kante, »die sind gefährlich!«
»Halt die Klappe, Haggeney!«, entgegnete der Schmale.
Er griff in Lohkamps Jacke und zog die Brieftasche heraus.
»Tut mir ehrlich leid, Herr Lohkamp«, sagte er und half ihm in die Senkrechte. »Aber die beiden da sind dumm wie Schifferscheiße …«
Er drehte sich um: »Denk mal scharf nach, Lusebrink: Zwei Männer in Zivil, Golf oder Passat, vollkommen unauffällig, keine Extras, keine Aufkleber, keine Boxen, nicht mal ’ne Rotzfahne auf der Ablage, kein Radio – aber ’ne Antenne auf dem Kühler und den Piker zwischen den Vordersitzen … Worauf tippst du: Nikolaus und Knecht Rupprecht?«
Lusebrink grübelte, aber er kam nicht drauf.
»Ehrlich, wenn ich den Idioten erwische, der euch von Kamen weggeschickt hat …«
Da fiel der Groschen. Lohkamp wusste wieder, woher er die Namen dieser Galgenvögel kannte. (Anm. des Hrsg.: Reinhard Junge: Klassenfahrt, Weltkreis-Krimi, S. 71)
24
Die Woche ging zu Ende, ohne dass etwas Nennenswertes geschah. PEGASUS dämmerte vor sich hin und wartete: auf das Geld aus Datteln, auf neue Aufträge und auf bessere Zeiten.
Der Knall kam bei einer eher harmlosen Frotzelei am Freitagabend, als alle bis auf Karin bei einem Bier in Magers Küche saßen. Den tristen Hinterhof vor Augen, sang Saale das Lied vom Heimweh nach dem fernen Hamburg.
»Wo willst du denn noch ’nen Job kriegen«, grinste der PEGASUS-Vize. »Wer seinen Vorgesetzten Calvados aus dem Schreibtisch klaut …«
»Ihr könnt mich mal«, brüllte Saale. »Ich weiß beim besten Willen nicht mehr, warum ich bei euch angeheuert habe. Ich muss besoffen gewesen sein.«
»Das warst du auch«, erinnerte ihn Susanne. »Und wie!«
Die Tür knallte ins Schloss. Saale rannte über den Hof, keuchte die Treppen hoch und öffnete das morsche Brett vor seiner Bude mit einem Fußtritt. Als er sich aufs Bett hechtete, schrie der IKEA-Elch vor Schmerz auf.
Mit der rechten Hand legte Saale die Diamantnadel auf die schwarze Platte, mit der linken fingerte er nach dem Kopfhörer. Joe Cocker wünschte ihm einen guten Abend.
Er drehte den Pegel bis zur Schmerzgrenze und heulte mit: Baby, shelter me, would you shelter me, when I see you now, I loose the ground, shelter me, babyyyy, shelter miihh, when I loose control…
Plötzlich sprang er auf, riss die Kopfhörer ab und stürzte sich auf einen Stapel alter Zeitschriften. Unter einem Dutzend Asterix tauchte endlich das letzte MARABO auf. Mit fliegenden Fingern suchte der das Tagesprogramm: Zeche Bochum, 21.00 Uhr: The Fall.
Ein Blick auf die Uhr: Es war zehn nach neun.
»Die fangen sowieso später an«, murmelte er. Er riss sich den Pulli über den Kopf, schnüffelte an den Achselhöhlen, zwängte sich in die schwarze Lederhose und nahm den grauen Flohmarktsakko aus dem Schrank. Zwei Minuten später klemmte er einen Zettel mit der Nachricht Ich habe den Lada. Gruß Holger an Magers Tür, preschte drei Minuten später die B1-Auffahrt in Richtung Bochum hoch und suchte um Viertel vor zehn einen Parkplatz an der Prinz-Regent-Straße.
Schließlich klemmte er die Kiste dicht neben eine Garageneinfahrt, platzierte das Presseschild auf die Ablage
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