Das Ekel von Datteln
Lohkamp. »Aber das ist mir zu dünn. Wenn es wirklich um Erpressung geht – wen müssen wir dann unter die Lupe nehmen?«
Brennecke zog die Schultern hoch: »Den Chef vom Bauamt, Roggenkemper, Gellermann, Puth …«
»Eben. Und denen rücke ich nicht mit einem Luftgewehr aufs Fell. Kanonen, Brennecke, sonst machen die uns ein …«
Wenige Minuten vor elf betraten sie das Rathaus von Datteln und fragten sich zum Bürgermeister durch. Den Termin hatten sie mit seiner Sekretärin ausgemacht, da Roggenkemper die Woche über auf Tournee gewesen war: Düsseldorf, Travemünde – zu weit weg, um ihn bereits zwischendurch zu befragen.
Im Vorzimmer lächelte ihnen etwas Blondes, Feenhaftes zu und steckte kurz den Kopf durch die Tür nach nebenan. Dann nickte sie: »Bitte!«
Auf der Schwelle blieb Lohkamp verblüfft stehen. Roggenkemper residierte in einem mittleren Tanzsaal mit bunten Mosaikfenstern. Die Einrichtung war schlicht und kostbar, und mit der Fahne, die schräg hinter dem Ortschef aufgebaut war, hätte man eine halbe Kompanie toter Flusspioniere zudecken können.
»Kommen Sie herein, meine Herren!« Er kam ihnen entgegen und bot ihnen zwei altertümliche Lehnstühle an, die eher in einen Rittersaal gepasst hätten. Er selbst nahm gegenüber Platz und schlug die kurzen Beine übereinander.
»Tut mir leid, dass ich Ihnen erst heute zur Verfügung stehen kann. Was darf ich für Sie tun?«
»Ruth Michalski«, sagte der Erste Hauptkommissar nur.
Der Ortschef nickte, seine Augen verdüsterten sich.
»Habe ich gehört. Eine böse Geschichte. Haben Sie schon eine Spur …«
»Nein. Deshalb benötigen wir Ihre Hilfe …«
»Natürlich«, sagte Roggenkemper. »Ich …«
Die Tür öffnete sich, und die Sekretärin fuhr auf einem Servierwagen Kaffee und eine Schale mit Streuselkuchen herein.
»Der ist eigentlich für den Seniorennachmittag im alten Ratssaal«, erklärte Roggenkemper. »Aber es ist immer genug da. – Frau Körner, bis wir hier fertig sind, keine Anrufe bitte.«
Die Sekretärin nickte und verschwand.
»Herr Roggenkemper«, begann Lohkamp, »weswegen hat Frau Michalski hier aufgehört? Gab es irgendwelche Differenzen?«
Der kleine Mann auf dem großen Stuhl lachte still: »Stehe ich unter Verdacht?«
»Nein«, sagte Lohkamp.
»Hätte mich auch gewundert«, knurrte Roggenkemper zufrieden. »Immerhin haben mich zur Tatzeit bestimmt 1500 Leute im Festzelt gesehen …«
»Ich weiß. Die Hälfte davon sogar doppelt.«
»Falsch«, feixte der Bürgermeister. »Im Festzelt bleibt keiner nüchtern. Ich übrigens auch nicht. – Aber im Ernst: Frau Michalski war als Sekretärin perfekt. Ich hatte keinen Grund zur Klage. Und das Einzige, was sie störte, war das Gehalt. Sie war für diesen Schreibtisch überqualifiziert, und ich konnte ihr nicht einmal die Mehrarbeit bezahlen. Sonst wäre mir der Regierungspräsident aufs Dach gestiegen …«
Er verbreitete sich drei weitere Minuten über die beruflichen Qualitäten der Toten. Die Beamten ließen ihn reden, bis er sich selbst unterbrach.
»Kurz und gut – bei Puth wurde damals die Stelle als Chefsekretärin frei. Ich habe ihr mithilfe von Herrn Gellermann die Stelle besorgt – sozusagen als Abschiedsgeschenk für treue Dienste. Punkt und aus.«
»Herr Roggenkemper, irgendjemand hat nach dem Tod der Frau die ganze Wohnung auf den Kopf gestellt. Wir haben festgestellt, dass mindestens zwei Aktenordner fehlen. Wir suchen danach. Immerhin hat Frau Michalski bei ihrer Arbeit im Bauamt und bei Ihnen Einblick in eine Vielzahl interner Vorgänge …«
Der Ortschef wischte den Rest des Satzes mit einer ungeduldigen Armbewegung weg.
»Herr Lohkamp – Datteln ist eine Stadt, in der es keine Skandale gibt. Die Einzigen, die gerne welche hätten und ständig stänkern, sind die Grünen. Es passt nicht in ihr neurotisches Weltbild, dass hier ein und dieselbe demokratische Partei seit dem Krieg die absolute Mehrheit hält und dass es eine politische Führung gibt, die sich wirklich um die Bürger kümmert. Die hätten es gerne anders, und weil sie keine Fakten haben, erfinden sie Geschichten …«
»Aber sie hat nachweislich einmal Akten des Bauamts zu Hause …«
»Mit Sicherheit. Sie war fleißig und gewissenhaft, und was sie im Büro nicht schaffen konnte, hat sie nach Feierabend erledigt.«
»Wo würden Sie denn ein Motiv suchen?«, versuchte der Kriminalmeister zu kontern.
»Jemineh!« Roggenkemper grinste spöttisch. »Soll ich jetzt auch noch
Weitere Kostenlose Bücher