Das Ekel von Datteln
Schreibtisch zu hauen – einen solchen Akt von Kompetenzüberschreitung hatte er wohl noch nie erlebt.
»Also gut«, resignierte er mit versteinertem Gesicht.
»Dr. Boos ist Gutachter. Ich hatte vor, ein Grundstück zu kaufen, und Herr Boos war als Sachverständiger bestellt, um das Gelände zu taxieren. Es war deshalb nötig, ohne Rücksicht auf meinen Zustand, dass ich mich an jenem Freitag mit ihm traf…«
»Um ihn zum Essen und zum Striptease einzuladen«, ergänzte Lohkamp.
Puth wischte sich den Schweiß von der Stirn.
»Mir lag sehr viel an dem Grundstück. Aber ich bin finanziell zur Zeit stark belastet. Ich wollte Herrn Boos die Grenzen meiner Möglichkeiten aufzeigen …«
»Und deshalb haben sie ein paar Hunderter springen lassen. Wie teuer war’s denn?«
»Zwölf-, dreizehnhundert. Es ging schließlich um ein paar hunderttausend. Ja, im Endeffekt sogar um die Existenz meiner Firmen und der Mitarbeiter. Herr Boos zeigte Verständnis …«
»… und garantierte ein Gefälligkeitsgutachten«, lachte Lohkamp auf.
»Das haben Sie gesagt!«, widersprach der Unternehmer. Aber das geschah um des Prinzips willen, ohne großen Nachdruck – ein Rückzugsgefecht. Puth wusste es, Brennecke wusste es, Lohkamp wusste. Er grinste.
Brennecke schaute noch einmal auf seinen Notizblock: »Warum hatten Sie es denn so eilig? Ihr Herzinfarkt lag gerade zehn Tage zurück. Sie mussten aus dem Krankenhaus türmen. Sie haben einen Re-Infarkt riskiert.«
»Stimmt. Aber es musste sein. Ich hatte Tage darauf Vertreter eines Bankhauses hier, mit denen ich über einen neuen Kredit verhandelt habe«, erklärte Puth endlich und grinste, als freue er sich über einen gelungenen Knabenstreich. Seine Boxerfalten gewannen etwas von ihrer ursprünglichen Farbe zurück. »Bis dahin musste die Sache unter Dach und Fach sein …«
»Und – in der Sache Michalski wissen Sie nichts Neues? Wenn Sie schon mal dabei sind, Ihre Aussagen zu korrigieren?«
»Nein. Ich kann es mir nach wie vor nicht erklären …«
Lohkamp erhob sich und blickte geringschätzig auf den Mann hinab.
»Sie wollten mir noch die Adresse …«
Puth reichte ihm einen Zettel.
»Sie können sicher sein, dass wir alles genauestens überprüfen. Ihren Laden können Sie schon mal dichtmachen – unsere Bochumer Kollegen sind wirklich findig. Und tatendurstig. Ihnen gehen nämlich langsam die Zahnärzte aus …«
Puth drückte sich aus seinem Sessel hoch. Es sah fast so aus, als wolle er nach überstandenem Duell dem Sieger gratulieren. Aber Lohkamp litt plötzlich unter Sehstörungen und wandte sich zum Gehen.
»Herr Lohkamp …«
Die beiden drehten sich um.
»Ich habe Ihnen reinen Wein eingeschenkt. Darf ich Sie jetzt bitten, mir einen Blick auf die Unterlagen zu gestatten, die Sie gefunden haben. Sie verstehen – ich habe an Ruth gehangen. Ich kann es nicht glauben, dass Sie mich hereinlegen wollte …«
Brennecke starrte seinem Chef neugierig ins Gesicht. Der zögerte. Er hätte jedem widersprochen, der behauptete, er stünde Puth gegenüber in irgendeiner Schuld.
»Bitte!«, sagte der Alte fast flehend. Er war erledigt. Und zum Tode Verurteilte haben in der Regel einen letzten irdischen Wunsch frei.
Lohkamp nickte.
Brennecke kehrte um und legte den Schnellhefter auf den Tisch. Puth ließ sich in seinen Sessel sinken und setzte umständlich seine Brille auf.
»Es stimmt. Das ist Ruths Handschrift …«
Er schlug die Mappe auf und las das erste Blatt, das zweite, das dritte. Dann wurde er schneller, las nur noch diagonal, blätterte schließlich hastig weiter – und begann zu lachen.
»Sie haben mich ja ganz schön reingelegt …«
»Wie bitte?«
»Doch. Schauen Sie, hier: Da geht es um die EDV, die wir vor drei Jahren angeschafft haben. Wir haben, wie ich sehe, zweihunderttausend Mark zu viel gezahlt. Die Randow-Computer-GmbH hat uns gewaltig übers Ohr gehauen. Für Ruth musste es ein Kinderspiel sein, das herauszubekommen. Denn Randows Frau ist ihre Schwester …«
Lohkamp seufzte: Da war ihnen wieder etwas entgangen.
»Aber eins stimmt: Die Akte belastet in der Tat jemanden aus der Firma«, fuhr der Mann fort. »Den, der das Geschäft von unserer Seite aus eingefädelt hat. Der hat sicher die Hälfte des Aufpreises von Randow als Prämie bekommen.«
»Und wer war das?«, fragte Brennecke.
»Gellermann!«
36
»Darf ich Ihnen noch etwas bringen?«, fragte der Kellner und schielte dabei unmissverständlich auf seine
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