Das Ekel von Datteln
kramte nach dem Fünfziger, den er sich morgens in die Jackentasche gesteckt hatte. Mitten in der Bewegung hielt er inne.
»Mensch, ich hab’s!«
»Endlich mal!«, frotzelte Saale.
»Sag mal, Helga: Puths Karre – ist das so ein dunkelblauer Dreihunderter?«
Sie dachte nach und nickte.
»Jau! Leute, ich hab recht. Puth ist nicht gefahren. An diesem Wochenende hat jemand anders den Wagen benutzt.«
»Woher weißt du das?«
»Weil ich mit dieser Kiste beinahe umgenietet worden wäre. Vor dem Rathaus. Wir mussten dort gegen Mittag den Roggenkemper-Clan filmen. Und da kam er mit dieser Karre angebraust und hätte mich fast auf die Hörner genommen …«
Er verstummte, und hinter seiner Stirn begann es zu arbeiten.
»Kommt hin. Von Harlingen bis hier braucht man mindestens drei Stunden. Tempolimit und fast hundert Kilometer Landstraße. Da kommst du auch mit einem Benz nicht schneller durch …«
»Woher weißt du das so genau?«, fragte Helga.
Mager lächelte: »Als alter Ameland-Fahrer? Das ist nur zwei Inseln weiter. Und bis auf die letzten dreißig Kilometer dieselbe Strecke.«
»Und wer saß am Steuer?«, fragte Saale ungeduldig.
Mager grinste und steckte sich gewollt umständlich eine Zigarette an: »Sagte ich das nicht? Unser Freund Gellermann!«
37
Lohkamp schaute Puth nachdenklich an. Was er gesagt hatte, klang nicht gerade unlogisch: Altmodisch, wie der Beton- und Bergbaumaschinenfabrikant war, hatte er von Elektronischer Datenverarbeitung sicher keine Ahnung. Bei solch einem Chef konnte ein Typ wie Gellermann problemlos zum Ober-Guru in allen Hightech-Fragen aufsteigen und – absahnen.
Aber der Mord?
Klar, allein vom Alter her kam der Prokurist viel eher als Täter in Frage: Er war jung, gesund, hielt sich mit Tennis und Schwimmen fit und wäre sicher in der Lage, eine Frau wie diese Michalski umzubringen, ohne dass die sich noch großartig wehren konnte. Doch Gellermann hatte ein Alibi. Vom Bürgermeister. Aber wenn der sich geirrt hatte?
»Glauben Sie wirklich, dass Frau Michalski Herrn Gellermann erpresst hat? Immerhin hatten die beiden lange ein Verhältnis.«
Der Mann im Chefsessel wand sich wieder. Das Thema war ihm eindeutig unangenehm.
»Also, ich hätte Ruth das niemals zugetraut. Ich habe so lange mit ihr gut zusammengearbeitet, und in dieser Zeit …«
»Sie hat erpresst. Da beißt keine Maus einen Faden ab. Es geht nur noch um das …«
Opfer hatte er sagen wollen, scheute aber plötzlich vor diesem Begriff zurück. Erpressung war ein Verbrechen, klar. Aber die Frau selbst hatte es viel schlimmer erwischt.
»Ich habe mich eigentlich immer aus den Privatangelegenheiten meiner Leute herausgehalten«, meinte Puth. »Aber als man in der Firma und in der Stadt zu klatschen begannen, habe ich Gellermann darauf angesprochen. Diese … Affäre war nicht gut für unsere Firma. Nach außen nicht, auch nicht intern. Außerdem hat der Mann noch etwas vor. Mithilfe des Bürgermeisters, und der hat Einfluss im Landtag …«
Puth streckte die Hand nach dem Glas Wasser aus, das er zum Herunterspülen der Pillen bekommen hatte. Mit den letzten Tropfen netzte er seine trockenen Lippen.
»Ich habe ihn von dieser Flanke gepackt. Habe verlangt, dass er klare Verhältnisse schafft – so oder so. Einige Tage später hat er die Beziehung gelöst.«
»Und wie hat Frau Michalski reagiert?«
»Das habe ich Ihnen schon bei unserem ersten Gespräch erzählt: Sie konnte so etwas vor anderen Leuten sehr gut verbergen. Aber wenn ich ehrlich sein soll – vor mir selbst, meine ich, denn mir hat diese Beziehung nie so recht gepasst –, dann hat sie sich davon auf Dauer sicher mehr erhofft.«
»Hat sie Ihnen so etwas gesagt?«
Puth schüttelte den Kopf: »Nein, das ist eher ein Gefühl. Sie war – also, sie wirkte nach dieser Trennung irgendwie hohl, ausgebrannt. Etwas in ihr war zerbrochen.«
Das Telefon, eines dieser schwarzen Ungetüme aus den frühesten Sechzigern, läutete – noch ganz auf die altmodische Art, die diesen Ausdruck auch verdiente. Besser konnten sich Lohkamps Eindrücke von Puths Verhältnis zur Technik der Moderne kaum bestätigen.
»Für Sie!«
Brennecke sah gespannt zu, wie der Chef den Hörer ans Ohr presste. Die grau-blauen Augen blickten erst noch aus dem Fenster, in den Garten und auf die dahinterliegende Weide hinaus, wo sich mehrere Stuten mit ihren Fohlen tummelten. Eine Landidylle, wie man sie in Ballungszentren wie Stuttgart und München nicht mehr
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