Das Ekel von Datteln
Sanatorium.
»Wasser …«
Brennecke lief los, um den Hausgeist zu suchen, und Puth schraubte ein weißes Plastikröhrchen auf. Drei blaue Schmerzbomben rutschten auf seine Hand. Er hielt sie krampfhaft fest, bis das Muttchen mit dem Wasser kam. Dann schluckte er die Pillen und spülte gründlich nach.
»Danke«, sagte er. »Das war’s, Frau …«
»Herr Puth, soll ich nicht besser Ihre Gattin oder Doktor …«
»Nein. Sie sollen uns allein lassen …«
Einige Augenblicke war es fast still. Draußen, auf dem Uferweg, ritt eine Gruppe Halbwüchsiger vorbei, angetan mit Reithosen und Käppchen, lachend, sorglos – die künftigen Regenten der Stadt. Als sie verschwunden waren, hätte man eigentlich nichts mehr hören dürfen außer den Atemzügen der drei Männer. Aber irgendwo tickte ruhig und unermüdlich eine große Uhr. Irritiert sah Lohkamp sich in dem Arbeitszimmer um, aber Brennecke war schneller. Er drückte die Tür zum Flur ins Schloss, und das Geräusch verebbte.
»Herr Puth«, begann Lohkamp, sobald sich Puths Wangen wieder färbten. Er schien jetzt halbwegs auf dem Damm zu sein.
»Wir haben nicht den geringsten Zweifel, dass Frau Michalski Sie erpresst hat. Gleichzeitig gibt es nicht den geringsten Zweifel, dass Frau Michalski tot ist. – Wie war das noch mit Ihrem Alibi für die Nacht vom Vierten auf den …«
»Ich war hier«, flüsterte Puth. »Meine …«
»Nein. Ihre Hausgehilfin hatte ab mittags frei. Und das Zeugnis Ihrer Gattin reicht mir nicht mehr aus. Wir brauchen jemanden, mit dem Sie nicht verwandt sind, am besten jemanden, der nicht bei Ihnen beschäftigt ist …«
»Sie glauben doch nicht, dass ich …«
»Herr Puth, ich bin kein Pastor, sondern Kriminalpolizist. Mit dem Glauben kommen wir nicht weiter. Ich will Beweise«, fuhr Lohkamp ihm so schneidend in die Parade, dass Brennecke überrascht zusammenzuckte: So hatte er seinen Herrn und Meister noch nicht erlebt.
»Ich war hier …«
Lohkamp beugte sich vor. Seine Stimme wieder leise, der Tonfall fast lakonisch: »Sie unterschätzen unsere Möglichkeiten, Herr Puth. Wir klappern mit einem Foto von Ihnen und von Ihren Autos alle Wege nach Harlingen ab. An jeder Tankstelle, in jedem Café werden wir nach Ihnen fragen. Und irgendwer wird sich erinnern …«
»Unsinn. Jeder Arzt bestätigt Ihnen, dass ich gesundheitlich gar nicht in der Lage …«
Lohkamp lachte auf und winkte ab: »Geschenkt. Sie waren es vielleicht nicht persönlich, Herr Puth. Vielleicht haben Sie ja nur die Anweisung gegeben, den Befehl. Das würde einem Richter völlig reichen, um Ihnen für den Rest des Lebens ein etwas kleineres Arbeitszimmer zuzuweisen. Also!«
»Ich bin kein Mörder.«
»Himmeldonnerwetter«, brach es aus Lohkamp heraus. »Wie lange wollen Sie das Spielchen noch treiben? Ich will eine klare Antwort. Wenn Sie dazu nicht bereit sind – wir haben noch ein paar Zellen frei. Also: Waren Sie in Datteln? Ja oder nein?«
Die grau-blauen Augen des Kommissars waren hart und stechend geworden, die Backenmuskeln zuckten. Es gab keinen Zweifel: Er meinte es ernst.
Puth schluckte.
»Nein«, sagte er schließlich.
34
Es war eines dieser trostlosen Ristoranti, deren Namen unaussprechlich italienisch, deren Rezepte aber unausstehlich heimisch sind. Der Pizzateig war hart wie Mechthilds Weihnachtsgebäck, im Tomatenmark paddelten Champignons, die in der Dose groß geworden waren, und der Schinken war zäh wie Kalle Magers Kaugummis. Jede Pommesbude hätte Magers Hunger besser stillen können – und billiger.
Er nippte an dem lauwarmen Frascati und schaute gelangweilt auf das junge Glück an seinem Tisch. Seit Helga hereingekommen war, hatte Saale ihre Hände nur noch losgelassen, um ein paar Spaghetti einzuwerfen. Er war noch nie ein großer Esser gewesen, aber jetzt blieb sein Teller fast voll.
In einem Anfall von Melancholie erinnerte sich Mager flüchtig daran, dass auch er mal auf diese Weise in Kneipen und Cafés herumgesessen hatte. Aber das war lange her und wohl für immer vorbei. Dass er für diese bittere Erkenntnis seinen Mittagsschlaf opfern musste, deprimierte ihn doppelt.
Er drückte seine Zigarette aus und räusperte sich: »He! Als Anstandsdame bin ich wirklich nicht ausgebildet. Ich verzieh mich jetzt. Holger kann …«
»Warte noch!«, bat Helga und legte ihm die Hand auf den Arm. »Ich habe euch was zu erzählen.«
Sie blickte sich kurz um, aber niemand in dem Laden interessierte sich für sie.
»Puth hat
Weitere Kostenlose Bücher