Das Elbmonster (German Edition)
das Jahr 2019 dafür vertragsmäßig festgeschrieben wurde.
So aktuell und ergiebig das Thema insgesamt auch sein mag, wir verlassen es vorläufig, um nachfolgend unsere Aufmerksamkeit wieder direkt auf Meißen zu richten, wo sich kurz vor Mitte des Jahres 2004 erneut etwas unfassbar Schreckliches zugetragen hat. Springen wir also mit unserer Vorstellungskraft unverzüglich hinein ins makabre Geschehen!
Allzu gern möchten wir die äußerst verängstigten Bewohner der geplagten Domstadt dazu auffordern, der Sonne entgegenzusehen, damit alle dunklen Schatten hinter sie fielen oder ihnen den warmherzigen Segensgruß der Araber zurufen: „Salam alaikum!“ Friede sei mit euch! Doch das wäre jetzt ganz und gar vergebens. Es ist nämlich abermals ein Todesengel erschienen, der mitleidlos sein grausiges Handwerk verrichtete, indem er auf entsetzliche Weise das elfte Opfer forderte.
Ebenso wie bei den zehn vorausgegangenen rätselhaften Todesfällen handelt es sich um eine männliche Person, und es geschah wiederum am helllichten Tage, dazu in einer Gegend, die von Einheimischen und Touristen besonders stark besucht wird. Das tragische Ereignis ist gleichermaßen schockierend und durch unseren gewöhnlichen Verstand unerklärbar wie die bisherigen Fälle, weil es zwischen ihnen keinen nennenswerten Unterschied gibt.
Hinsichtlich der möglichen Ursachen für die aufsehenerregenden Vorkommnisse wissen Polizei und Staatsanwaltschaft im Grunde genommen immer noch nichts, obwohl man ihnen wahrlich nicht unterstellen kann, sie hätten zu wenig Sachkenntnis oder zeigten eine zu geringe Einsatzbereitschaft. Das genaue Gegenteil trifft zu, denn all jene, die unmittelbar vor Ort ermitteln, sind durchweg hervorragende Leute, in ihrem Beruf schon mehrfach bewährte und mit ausgeprägtem kriminalistischem Instinkt begabte Experten.
Doch vielleicht sind es gerade ihre herkömmlichen Methoden, die sie maßgeblich daran hindern, der außergewöhnlich verzwickten Situation gerecht zu werden. Allenfalls müssten sie völlig neue, bislang unbekannte Wege beschreiten, damit sie dem ersehnten Ziel näher kämen, Schritte gehen oder Verfahren einleiten, die noch keiner wagte, und mögen sie noch so widersinnig erscheinen, also ihre konventionelle Prozedur über Bord werfen, um endlich erfolgreich zu sein. Stattdessen vernehmen wir vom verantwortlichen Leiter der Sonderkommission zum wiederholten Male den unbefriedigenden Satz: „Wir ermitteln in alle Richtungen, ergebnisoffen“, womit er lediglich den Zustand zu umschreiben versucht, dem er und seine emsigen Mitstreiter fortwährend ohnmächtig ausgeliefert sind.
Dabei wurden von staatlicher Seite keine Kosten gespart, denn es geht um das öffentliche Interesse, und in solchen Fragen sind wir Deutschen ausnahmsweise nicht kleinlich. So wurde die zahlenmäßig ohnehin schon weit über den gebräuchlichen Durchschnitt liegende Arbeitsgruppe erst unlängst um zehn Beamte aufgestockt. Auch die Prämie für entscheidende Hinweise aus der Bevölkerung ist vor wenigen Tagen auf exakt 32.000 Euro erhöht worden. Eine unglaublich hohe Summe! Warum eigentlich diese ungewöhnliche Größenordnung des zusätzlichen Draufpackens von Geld? Wer kann uns das und vieles andere noch halbwegs einsichtig erklären? Möglicherweise ist der dafür verantwortliche Staatsanwalt ein ebenso leidenschaftlicher Skatspieler wie ich, dem die Zahl wegen der einschlägigen Blätter im Moment seiner Entscheidung so vertraut war, dass er sie beliebig hochrechnete, indem er einfach drei Nullen hinzufügte. Wenn sich das derart fortsetzt, werden wir eines Tages wohl nicht mehr umhin können, die auserwählten Fachleute zur Klärung des Meißner Horrors jenen Spezialisten zuzuordnen, die ständig mehr über immer weniger und schließlich alles über nichts wissen. Kein Wunder also, dass unserer Fantasie unentwegt neue Flügel wachsen und wir fieberhaft nach allen denkbaren Ursachen für die bislang unbegreiflichen Begebenheiten Ausschau halten.
Im jüngsten Fall stürzte der „Selbstmörder“, wie manche dem Erscheinungsbild nach in üblicher Weise vorschnell urteilen, unversehens von der oberen Plattform unserer Frauenkirche kopfüber auf das Pflaster am Rande des Altmarktes.
Das war für die vorübereilenden Passanten, von denen einige angesichts des grauenvollen Vorfalls ihren Schritt enorm beschleunigten, um dem Schrecken möglichst schnell zu entfliehen, andere hingegen ihn spürbar mäßigten und
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