Das Elbmonster (German Edition)
teilweise auch stehen blieben, damit ihre Sensationsgier frische Nahrung erhielt, so oder so eine abscheuliche Szene, insbesondere natürlich für die gaffend Umherstehenden.
Es ist schon ziemlich merkwürdig, dass der Zufall mich akkurat zur selben Zeit dorthin führte, und ich gehöre eben überwiegend zu den Neugierigen. Uns bot sich ein Schauplatz des reinsten Grauens, weil der Körper des Toten vollkommen entstellt dalag und das Blut in Strömen aus seinem zerschmetterten Kopf quoll. Weitere Einzelheiten will ich meiner Leserschaft auch hier ersparen. Aber ich bin mir dessen sicher, wer so etwas einmal persönlich erlebt hat, kann die schaurige Erinnerung daran niemals mehr völlig aus seinem Bewusstsein verbannen. Sie wird ihn ständig als dämonisch bedrückende Last verfolgen und gelegentlich auch schweißgebadet aus seinen unheimlichen Träumen wecken.
Zum Glück war mir der gewaltsam Verstorbene unbekannt. Das vermochte ich freilich nicht unmittelbar von seinem brutal verstümmelten Gesicht oder deformierten Körper abzulesen. Aber schon am übernächsten Morgen wurde es mir über unsere Tagespresse eindeutig bestätigt. Dessen ungeachtet wird mich der konkrete Zwischenfall notgedrungen in zweierlei Hinsicht noch ernsthaft beschäftigen. Vorläufig bleibt jedoch der Ort des entsetzlichen Geschehens für den gedanklichen Nachvollzug der verschiedenen Abläufe bedeutungsvoller.
Der Turm unserer Frauenkirche ist ein beliebter Aussichtspunkt, denn von da aus haben die Besucher einen faszinierenden Blick über die Altstadt und auf das Elbtal, darüber hinaus eine beeindruckende Rundumsicht. Auch im Inneren hat das Gotteshaus mehrere Raritäten zu bieten. Beispielsweise kann der ökumenische Marienaltar bewundert werden oder auch das bezaubernde Glockenspiel aus Meißner Porzellan vom Jahre 1929 mit täglich sechs Chorälen. Es war damals zur besonderen Würdigung des eintausendsten Geburtstages unserer Stadt geschaffen und feierlich eingeweiht worden. Von ihrer einzigartigen Attraktivität haben die siebenunddreißig Glocken bis zum heutigen Tage nichts eingebüßt, im Gegenteil, auch künftig werden sich Menschen aus aller Welt daran erfreuen. Dies gilt erst recht, nachdem das brillante Kunstwerk infolge seiner jüngsten Sanierung mehr denn je einen herzergreifenden Wohlklang ausstrahlt, damit „seine Melodien gehört werden mögen und wir die Stimme vernehmen, die uns hilft und erhebt, Höheres zu vollenden“, wie es Professor Emil Paul Börner, der Initiator und Schöpfer, einst persönlich wünschte.
Doch statt uns eingehender mit technischen Harmonien und individuellen Glücksempfindungen zu befassen, so gerne wir das auch fortwährend wollten, richten wir unser Augenmerk nun wieder gezielt auf das mysteriöse Geschehen im Meißner Terrain sowie auf die daraus resultierenden Sorgen und Nöte der heimischen Bevölkerung, namentlich der unmittelbar davon betroffenen Mitbürger! Zudem interessiert uns gewiss auch die weitere Vorgehensweise der beauftragten Experten und ob sie denn in der besagten Angelegenheit, die fraglos ohne „Vorbild“ ist und daher ungeheuer verzwickt bleibt, gegebenenfalls trotz aller Wirrnisse und Schwierigkeiten irgendwann einen spürbaren Erfolg verbuchen werden. Angedeutet ist das ja bereits, ohne dass ich Genaueres verraten konnte, schon allein deshalb nicht, weil mir gegenwärtig selbst noch bestimmte Detailkenntnisse dazu fehlen. Hoffentlich kann ich sie mir rechtzeitig beschaffen! Ansonsten wird es für mich äußerst problematisch, da ich außerstande wäre, mein tollkühnes Versprechen termingerecht und nach gefordertem Anspruch einzulösen.
Himmel, Kreuz, Donnerwetter noch mal, ist das ein überaus scheußliches Ringen mit dem speziellen Gegenstand, gar, wenn man andauernd spürt, dass der heimtückische Sensenmann einem schon deutlich vernehmbar die Kehle zuschnürt! Niemals wieder würde ich mich auf eine derart widerwärtige Verpflichtung einlassen, egal, was da käme! Ob ich das morgen noch genauso empfinde? Beschwören möchte ich es lieber nicht.
Wie machen das nur die anderen aus der Gilde schreibender Akteure? Plagen sie sich zuweilen auch so fürchterlich ab, damit ihr Werk gedeihe? Zugegeben, auf das literarische (!) Niveau etwa eines Dieter Bohlen will ich mich auch nicht gerade herablassen und auf sein charakterliches sowieso nicht, auch wenn er extra dafür sehr viel Geld bekommt (was allerdings zugleich aktuelle deutsche Verhältnisse
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