Das Elbmonster (German Edition)
nicht nur eine mir aufgebürdete Pflicht, sondern gleichermaßen Ehrensache und demnach mein fester Vorsatz, alle zusätzlichen Faktoren gewissenhaft zu beleuchten, die uns verdeutlichen können, warum sich sein Verhalten jetzt gerade so und nicht anders offenbart. Es sind die einzelnen Motive seines Handelns, die wir unbedingt als Wissensgrundlage für ein sachliches Urteil benötigen.
Dafür stehen mir auf Geheiß des mysteriösen Auftraggebers genau zweiunddreißig Kapitel zur Verfügung, ergänzt durch ein Vor- und Nachwort. Hier ist mir Anonymus ausnahmsweise insofern entgegengekommen, dass er nicht auf seiner „magischen Zwölf“ beharrte, sondern mir als begeisterter Skatspieler kulant zubilligte, die Abschnitte nach der Anzahl meiner beliebten Karten einzuteilen. Auch das ist mir strikt vorgegeben. Ja, so unglaubhaft es vorerst auch klingen mag, die Leitlinien hinsichtlich Inhalt, Umfang und Dauer dieser Abhandlung unterliegen am wenigsten meinem Ermessen. Das wusste ich freilich schon, bevor ich die erste Zeile niederschrieb. Ich mache es trotzdem, weil ich schlicht um mein Leben fürchte.
Obwohl zwangsläufig mehrere Wesenszüge meiner Person gleichsam autobiografisch in die Handlung einfließen, sollten wir uns doch fortlaufend darüber im Klaren sein, dass die meisten Aussagen ebenso von Abel stammen könnten und deshalb indirekt seiner weiteren Charakterisierung dienen.
Anmerkung zur Identität: Ist es unbestreitbar ausgeschlossen, dass wir manchmal fast leibhaftig neben uns stehen, quasi aus der eigenen Haut schlüpfen und hernach auch gänzlich andere Eigenschaften annehmen? Widerfährt das nicht eher mehr oder weniger buchstäblich jedem im Verlauf seines Lebens, mitunter sogar absolut ungewollt und obendrein blitzartig? Steckt nicht letztlich in allen menschlichen Wesen jene Duplizität, die uns ein doppeltes Vorkommen und Auftreten ermöglicht? Klarer ausgedrückt: Befällt uns nicht hin und wieder das unbändige Verlangen, ganz anders zu sein, als wir tatsächlich sind? Und wo bliebe während solcher Gegebenheiten die oftmals gepriesene „völlige Gleichheit mit sich selbst“, unser scheinbar unverwechselbares Ego? Wir verfügten nämlich, zumindest vorübergehend, über eine andere Identität, hätten demnach bisweilen reelle Chancen, unsere Wünsche neu zu ordnen und streckenweise vielleicht noch konsequenter zu verwirklichen als durch übliche Verhaltensweisen, denn unser subjektives Empfinden, Denken und Handeln wäre alternativ geprägt, entspräche nicht mehr den „normalen“ Gepflogenheiten. Gibt es also so etwas wie ein zweites Ich, eine Art Überwirklichkeit? Und wenn ja, wäre das Phänomen dann nur den vermeintlich ausnehmend begabten Künstlern vorbehalten, allenfalls noch ein paar Exoten in manchen Wissenschaftsbereichen?
Freilich, sobald wir deren teils wundersamen Ergüsse, die uns mitunter eben gerade deshalb äußerst rätselhaft erscheinen, nicht mehr hinreichend begreifen, sind wir schnell geneigt, sie als genial befähigte, beispiellos kreative Akteure zu sehen und ebenso unbedarft in den göttlichen Olymp zu erheben. Dabei kann es sich vereinzelt durchaus um arme Irre handeln. Kurzum, wir sind wohl abermals gut beraten, auch unserer notorischen Leichtgläubigkeit bisweilen strengere Zügel anzulegen, damit sie nicht allzu üppig sprießt und sich demzufolge lauter dummes Zeug im Kopf ansammelt, das uns wiederum gern etwas vom kostbaren Raum für wichtigere Dinge stiehlt.
Hierzu offenbare ich unumwunden, dass ich mich oft genug als Gefangener meiner selbst wähne und mich obendrein noch viel zu häufig von allerlei Experten oder solchen, die sich aufgeblasen dafür halten, umstellt fühle. Aber irgendwann sprenge ich diese niederträchtige Umzingelung, so wahr mir Gott helfe! Oder ist es gar der überaus gefürchtete Beelzebub, jener Herr der bösen Geister, welcher im Neuen Testament zum obersten Teufel erkoren wurde und nun als besonders arglistiger Höllenfürst unerbittlich danach trachtet, sein hinterhältiges Spiel auch mit mir zu treiben? Wer kann das schon so genau wissen?
Ist die von mir soeben absichtlich preisgegebene Sichtweise bestimmter Zusammenhänge allein den vielleicht schon arg wirren Gedankensprüngen in meinem Oberstübchen geschuldet? Oder verbirgt sich dahinter gegebenenfalls eine falsche Fährte für die geschätzten Krimifreunde? Nach genauerem Hinsehen könnte nämlich vor unserem geistigen Auge, sofern wir es zielbewusst einsetzen,
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