Das Elbmonster (German Edition)
Klagelied, weil ich wehmütiges Jammern generell nicht mag, folglich auch kein nostalgisches Geheul. Vielleicht sind es auch nur belanglose, wenngleich drängend bohrende Gedanken eines Mannes im Seniorenalter, ähnlich denen des Don Quijote, der bekanntlich vergebens gegen Neuerungen kämpfte. Die Jugend wird derartige Entwicklungstendenzen sicherlich gefälliger einschätzen.
Wie dem auch sei, um eventuellen Fehldeutungen bewusst vorzubeugen, sehe ich mich zu nachstehendem Klartext veranlasst:
Selbst in der umstrittenen Figur eines „bekennenden Ossis“ fühle ich mich zuvorderst als Erdenbürger, also bin ich in erster Linie Mensch, ehe der Europäer, Deutsche, Sachse und schließlich Meißner folgen. Allein das ergibt für mich eine sinnträchtige Reihung und nicht umgekehrt. Indessen wirkt die entgegengesetzte weltanschauliche Orientierung meines Erachtens regelrecht zerstörerisch, weil sie ihrem Wesen nach stets mit borniertem Nationalismus einhergeht und demzufolge in der Endkonsequenz nicht zukunftsfähig sein dürfte.
Gewiss bleibt diesbezüglich noch viel zu tun, auch in Deutschland, was hoffentlich allenthalben nicht nur hinreichend bekannt, sondern als Handlungsmotiv auch genügend verinnerlicht ist. Erst wenn diese, gemäß ihrer Bedeutung ausgesprochen heroische Aufgabe weltumspannend bewältigt wäre, könnte ein alter Menschheitstraum Wirklichkeit werden, den Schiller und Beethoven in grandioser Weise als „Seid umschlungen, Millionen!“ künstlerisch ausdrückten.
Kommen mir beim Hören bestimmter Passagen der berühmten „Neunten Sinfonie“ auch manchmal unweigerlich fast die Tränen, und noch tiefer kann ich mich vor unseren wahrhaftig Großen nicht verneigen, so muss ich der Ehrlichkeit halber hier doch eingestehen, dass ich leider schon lange nicht mehr an einer Realisierbarkeit jenes hehren Zieles glaube. Und wie gerne würde ich namentlich diese Auffassung als dummen Irrtum korrigieren!
Wer sich freilich die soeben grob umrissene Position selbst zum Maßstab seines Verhaltens macht, der wird mir bestimmt vorbehaltlos zugestehen, dass ich die absolute Mehrheit der „Amis“ genauso herzlich umarmen würde wie die meisten Bewohner des mittlerweile zerfallenen europäisch-sibirischen Ostreiches, sofern ich es denn praktisch könnte. Eine solche Haltung gilt übrigens auch vollinhaltlich für Abel, denn mit Blick auf unsere Weltanschauung gleichen wir uns ebenfalls wie ein Ei dem anderen, ohne identisch zu sein.
Das trifft selbstverständlich auf sämtliche Völker zu, die Magyaren (Ungarn) nicht ausgenommen, obwohl sie die Familie meiner Eltern infolge des Zweiten Weltkrieges gewaltsam aus unserer angestammten Heimat vertrieben, nur, weil wir Deutsche waren und der Vater sich einmal gegen die neuen Machthaber empörte. Oder hatten wir vielleicht noch andere „Schuld“ auf uns geladen? Aber was soll’s? Es sind Ereignisse aus vergangenen Zeiten, und sie wurden ja auch laut Beschluss der Siegermächte vollzogen, wenngleich die konkrete Umsetzung zuweilen höchst seltsame Formen annahm. Vergessen kann man sie wohl niemals. Sie bleiben zeitlebens in wacher Erinnerung. Doch jedwede Rachegelüste wären vollkommen fehl am Platze, die denkbar schlechtesten Ratgeber, weil Vergeltung keine Gerechtigkeit schafft. Also ist prinzipiell ehrliche, wohlwollende Versöhnung gefragt und sonst gar nichts.
Sicher, für uns Kinder war es damals ein außergewöhnliches Abenteuer, obzwar ständig von garstigem Hunger und arger Not begleitet. Die Erwachsenen hingegen müssen viel Schlimmeres durchgemacht haben. Dessen ungeachtet sprachen meine Eltern glücklicherweise niemals von Rache wegen erlittenen Unrechts. Allerdings hatten sie immer, solange sie lebten, eine stille Sehnsucht nach ihrer ursprünglichen Scholle, mag sie noch so klein gewesen sein. Ihr Wunsch, eines schönen Tages wieder dorthin zurückzukehren, wo sie einst ihr junges Glück zu schmieden suchten, hat sich nicht erfüllt. Die Verhältnisse waren nicht danach. Schließlich bereitete mein zusehends bitter enttäuschter Vater seinem materiell ohnehin stets kargen Dasein ein jähes Ende. Er strangulierte sich. Das war grauenvoll, und ich kann es nicht aus meinem Bewusstsein bannen, schon deshalb nicht, weil regelmäßig wiederkehrende Albträume mich nachhaltig daran erinnern. Und im November 2008 hat sich mein vier Jahre älterer Bruder ebenfalls aufgeknüpft. Überdies weiß ich seit Langem, dass mein Großpapa
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