Das Elbmonster (German Edition)
Benachteiligten, deren Zahl leider auch hierzulande ständig zunimmt. Sie brauchen nicht nur vereinzelt sonntägliche Fürbitten durch religiöse Würdenträger, sondern tätige Hilfe, die ihr überaus tristes Dasein noch einigermaßen erträglich macht.
Gewiss, ein Satter weiß nicht oder vergisst schnell, was Hunger bedeutet, und ein materiell Reicher wird sich nur äußerst selten in die tatsächlichen Bedrängnisse eines besonders Armen hineinversetzen können. Umso konsequenter sollten wir uns fortwährend darin üben, es zu tun, damit unsere Seelen nicht allmählich verkrusten und ihnen das Gefühl von Warmherzigkeit vollends entflieht. Das einfach Menschliche ist gefordert, mehr nicht, die immer und überall spürbare Solidarität mit den Schwachen und Ohnmächtigen, auch im Bewusstsein dessen, dass ein grausiger Schicksalsschlag jederzeit uns selbst treffen kann und wir dann auf den Beistand anderer vertrauen.
Nach diesem erneuten und vielleicht abermals fruchtlosen Appell an unsere soziale Vernunft sei nun der bereits erwähnte „Generationsneid“ noch einmal ins Rampenlicht mitteilsamen Nachdenkens gerückt.
Das Altersempfinden ist stets personengebunden und daher relativ. „Jeder ist so alt, wie er sich fühlt“, sagt der Volksmund und meint unsere individuelle Lebenseinstellung. Trotzdem wäre ich aus der Sicht beispielsweise eines neunzigjährigen Mannes fast ein junger Spund, könnte sogar dessen Sohn sein, wenn er sich beizeiten rangehalten hätte und sich obendrein einer halbwegs erfolgreichen Sturm-und-Drang-Zeit rühmen dürfte. Ähnlich verhält es sich aus meiner Perspektive mit Blick auf wesentlich jüngere Leute, auch wenn ich mich gottlob noch nicht hoch betagt wähne. Und so erlaubt man sich zuweilen die Kühnheit eines unverhüllten Ratschlages an nachfolgende Geschlechter, ohne damit belehrend sein zu wollen.
Zweifellos können auch die letzten Etappen auf dem Lebensweg eines Menschen noch herrliche Inhalte liefern, die einem richtig Freude bereiten, und zwar meist sogar vollkommen unabhängig vom nennenswerten Privatvermögen. Das ist ein wunderbares und ebenso höchst merkwürdiges Phänomen.
Augenscheinlich lässt uns die Glücksgöttin Fortuna auch als Bejahrte noch an ihren großzügigen Diensten teilhaben. Selbst Amors Pfeile bleiben teils aktuell.
Gleichwohl sei mir gestattet, all jenen, die mit leidenschaftlichem Verlangen nach dem „arbeitsfreien“ Rentnerdasein trachten, rundheraus zuzurufen: Sehnt euch lieber nicht danach! Es kommt ohnehin noch früh genug!
Durch persönliche Erlebnisse mannigfacher Art werde ich nämlich zunehmend an Ingmar Bergmans bildhafte Aussage erinnert, wo er das Altwerden mit einer Bergbesteigung verglich und meinte: Je höher man käme, desto klarer wäre die Sicht, doch im selben Maße ließen auch die Kräfte nach.
Das ist ein vortreffliches Bildnis!
Weitere Argumente, von denen es unzählige gibt, will ich mir jetzt ersparen.
Sofern das jemanden ausdrücklich interessiert, braucht er doch nur die Menschen zu studieren. Und er wird vielfach bestätigt finden, dass ein solches Vorgehen allemal ersprießlicher ist als irgendwelche Bücherweisheiten, zudem im Ergebnis auch meist wahrhafter. Dabei offenbart sich ihm ebenso, dass eine reiche Lebenserfahrung nicht schon in der Wurzel des Baumes aufzuspüren ist, sondern erst mit seiner vollen Blütenpracht zum Ausdruck kommt.
Um auch hier eventuellen Missverständnissen sofort zu begegnen, sei inständig betont, dass ich ein ausgesprochener Liebhaber von Büchern bin. Den wachsamen Blick ins pralle Leben vermögen sie allerdings nicht zu ersetzen.
So, nun habe ich mittlerweile mein Innerstes abermals reichlich nach außen gekrempelt. Genug davon, wenigstens vorläufig, sonst laufe ich noch Gefahr, dass mich etliche Leute besser kennen als mir lieb ist! Ein bestimmtes Quantum an Intimsphäre und Anonymität sollte man sich schon bewahren.
Was ich dagegen nicht weglassen darf, sind kritische Zeitbezüge.
Dazu bin ich prinzipiell verpflichtet, auch wenn ich aufs Spiel setze, dass sie nicht lange aktuell bleiben, weil das Heutige bereits morgen Schnee von gestern sein wird. Doch wer von uns bringt wirklich den Mut auf, in einem fort genau das zu tun, was er selbst für nötig und sinnvoll erachtet? Oftmals fügt man sich dem Willen anderer oder einfach den jeweiligen Erfordernissen und schiebt damit eigene Wünsche nach hinten, bis schließlich ein Teil davon ganz verkümmert.
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