Das Elbmonster (German Edition)
ist. Ob und inwiefern man ein derartiges Verhalten positiv beurteilen oder vielleicht auch konsequent ablehnen sollte, lasse ich hier bewusst offen.
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Inzwischen ist uns hinlänglich vertraut, dass die Zwölf für Abel so etwas wie eine heilige Ikone verkörpert. Freilich nicht im ursprünglichen Sinne eines gemalten Kultbildes der Ostkirche, das man hingebungsvoll anbetet, jedoch eine ungemein ehrfürchtige Größe, die er bei all seinen Handlungen stets mit höchstem Respekt berücksichtigt, denn sie ist das entscheidende Limit für sein tägliches Verhalten, der maßgebliche Grenzwert, welchen er unter keinen Umständen freiwillig überschreiten würde.
Bevor ich zu einem schicksalsschweren Fazit komme, will ich das noch an einem weiteren Beispiel verdeutlichen, weil es nicht nur für Abels Leitmotiv, sondern für das Kriminalgeschehen schlechthin symptomatisch ist.
Es ergab sich, dass unser literarischer Held zu Beginn der siebziger Jahre des vorigen Jahrhunderts in der DDR einer der Ersten war, die sich intensiv mit der altindischen Yogalehre auseinandersetzten. Lediglich im Thüringischen sowie in Leipzig konstituierte sich bald darauf je eine Arbeitsgruppe, die sich ebenfalls forschend demselben Anliegen widmeten, wobei es die Messestädter unter der Leitung von Heinz Kucharski und Fritz Klingberg offenbar am weitesten brachten. Auf hiesigem Terrain war und blieb Abel Kager indessen lange Zeit Einzelkämpfer und Autodidakt sowieso. Zwar wurde er vom damaligen Kreisvorsitzenden der URANIA (Gesellschaft zur Verbreitung wissenschaftlicher Kenntnisse) wohlwollend unterstützt, doch selbst der ehrenwerte Heinz Honcu war eigens deshalb mehrfach heftigen Kritiken ausgesetzt.
Engstirnige Parteifanatiker wollten oder konnten es einfach nicht wahrhaben, dass es auch außerhalb des sozialistischen Lagers höchst Interessantes zu entdecken gab. Und weil man damals bei uns zur betreffenden Thematik so gut wie keine Literatur aufspüren konnte, war man veranlasst, sie aus dem „westlichen Ausland“ zu besorgen. Allein das erwies sich bereits als „politisch verdächtig“. Ergo musste es vom prinzipiell argwöhnischen Tarnkappenverein „Horch und guck!“, der natürlich auch seine willfährigen Zuträger hatte, hierunter arg fiese Typen, misstrauisch beäugt werden.
Da ich meines Freundes Akte vom ehemaligen Staatssicherheitsdienst (Kurzwort Stasi) inzwischen bestens kenne, stehe ich bedenkenlos zu dieser Aussage. Es ist eben leider so: Weltanschauliche Borniertheit erweist sich immer und überall als Hemmschuh des Fortschritts, als verabscheuungswürdiger Antipode allen schöpferischen Tuns, also echt widerwärtig und daher inhuman, egal, wann und wo man ihr begegnet. Aber sie stirbt nicht aus. Darauf zu hoffen, wäre eine törichte Illusion.
Dessen ungeachtet war Abel Kager keineswegs gegen das bestehende gesellschaftliche System und schon gar nicht einer der beherzten Antisozialisten, nicht einmal deren Sympathisant. Im Gegenteil: Obwohl ihm der Alltag ebenso wie unzähligen anderen Bürgern oftmals deutlich warnend ins Gesicht blies, glaubte er tatsächlich fast bis zuletzt, es wäre trotz aller spürbaren Wirrnisse und Konflikte praktisch möglich, seine jugendlichen Ideale von einer gerechten Einkommensverteilung allmählich umzusetzen, sofern der Prozess institutionell angemessen gesteuert würde. Selbst als im Herbst 1989 in vielen Städten der DDR, vornweg Leipzig, schon Tausende Menschen kühn auf die Straße gingen, um gegen die teils unerträglichen Verhältnisse im Lande zu protestieren, stand er ihnen noch ziemlich hilflos und daher unentschlossen gegenüber. Ich übrigens auch. Meine Kinder hingegen nicht. Sie zeigten die nötige Zivilcourage, denn auch hier in Meißen gab es die entsprechenden Montagsdemonstrationen. Vielleicht waren wir einfach mal zu feige, uns an die Seite der Mutigen zu stellen. Doch wer Abel Kager wirklich kennt, hätte gewiss sogleich ernsthafte Bedenken hinsichtlich der charakterlichen Einordnung bei den Duckmäusern, zumal eine beachtliche Reihe von anderen Beispielen seines Verhaltens eindeutig dagegen spräche.
Womöglich erkannten wir damals nicht früh genug die nachhaltigen Signale der brodelnden Zustände, um entsprechend zu handeln. Doch der maßgebliche Grund für unsere zögerliche Haltung wird sicherlich die Tatsache gewesen sein, dass wir noch viel zu sehr an den alten Idealen hafteten, ergo uneinsichtige Fantasten,
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