Das Elbmonster (German Edition)
tagträumerische Wolkenschieber blieben. In jedem Falle wurde unser marxistisches Gedankengut, von dem wir einst so beseelt waren, durch den sozialen Umbruch arg erschüttert.
Gleichwohl steckt ein Großteil davon nach wie vor ziemlich tief in unseren Hirnzellen, hat sich beinahe unauslöschlich darin eingenistet. Das gebe ich freimütig zu, ohne mich dessen zu schämen, obwohl ich es doch längst müsste, wie mir vor geraumer Zeit ein „tapferer Widerstandskämpfer“ vorwurfsvoll gegenübertrat. Er sagte wörtlich: „Die ehemaligen Mitglieder der SED waren allesamt diktatorische Verbrecher. Man sollte sie erbarmungslos an öffentliche Pranger stellen und solange auspeitschen, bis sie endlich zur Vernunft kommen!“ Nach seiner Auffassung wären letztlich fast alle DDR-Bürger ideologisch verseucht gewesen und deshalb habe er beizeiten das Weite gesucht, indem er schon Jahre vor der Wende „nach drüben“ flüchtete. Allein das käme einer Heldentat gleich, fügte er im Brustton fester Überzeugung hinzu. Doch nun sei er wieder hier, um uns beizubringen, was Freiheit bedeute und wie man echten Wohlstand schaffe. Dafür müsse jedoch zuallererst der völlig verpestete Augiasstall gründlich ausgemistet werden, wozu er sich im Rahmen seiner Möglichkeiten fortan auch konsequent einsetzen wolle.
Jesses Maria, auf solche selbstlose Heilsbringer haben wir gerade noch gewartet!
Ist eine derart inhumane Äußerung eines erwachsenen Menschen aus unserer Mitte nur Ausdruck purer Dummheit oder ebenso boshaft? Anscheinend beides, und das Letztere gewiss ungleich schlimmer, weil stets aufs Engste mit echter Teufelei verknüpft. Nichtsdestoweniger erreichte der Mann mittlerweile im provinziellen Parteiengefüge schon eine erstaunliche Höhe, jedoch nicht etwa bei den ultraharten Rechtsextremisten!
Trotzdem sollten wir uns vor einschlägigen Verallgemeinerungen hüten! Sie widerspiegeln niemals das reale Leben, gehen als generalisierende Wertungen stets mit Fehlurteilen einher, wie ich bereits weiter vorn betonte. Im Übrigen gilt: Wer selber einen Spleen, quasi nicht mehr alle Tassen im Schrank hat, glaubt immer, die anderen wären blöde oder gar schon verrückt. Gibst es ein probates Mittel dagegen?
Ojemine, was hatten wir doch für ein sagenhaftes Glück, während oder unmittelbar nach dem Machtwechsel von 1989/90 nicht bestialisch gelyncht worden zu sein! Könnte das unter Umständen, wenigstens partiell, auch dem Faktum geschuldet sein, dass der Hauptinitiator jener qualitativen Wandlungen im Weltmaßstab selbst ein eingefleischter Kommunist war, mit dessen Namen die Begriffe Glasnost (politische Offenheit) und Perestroika (wirtschaftlicher Umbau) hoffentlich für immer unlösbar verbunden bleiben, eben mit der historisch überragenden Persönlichkeit Michael Sergejewitsch Gorbatschows?
Jedenfalls waren Abel und ich von seinen geradezu tollkühnen Ideen sofort hell begeistert, ohne auch nur im Geringsten zu ahnen, welch eine grandiose Wirkung sie international zeitigen könnten, sobald sie die Massen ergriffen, denn wir träumten immer noch von einem geläuterten Sozialismus mit menschlicherem Antlitz.
Den weiteren Verlauf jener denkwürdigen Ereignisse kennen alle. Und genau darin offenbarte sich ein schier unglaublicher Gunstbeweis der Geschichte, auch und vor allem für uns Deutsche! Es hätte nämlich auch verdammt böse ausgehen können, denn Europa starrte regelrecht vor Waffen, und intolerante Politfanatiker gab es auch zur Genüge. Schon allein deshalb sollten wir die „Friedliche Revolution von 1989/90“ und ihre wagemutigen Akteure stets in Ehren halten. Was sie bewirkten, ist einzigartig.
Wer von uns allerdings erwartet hatte, mit dem triumphalen Einzug des modernen Kapitalismus unter dem Gewand einer bürgerlichen Demokratie wäre gleichzeitig das Paradies auf Erden in Sichtweite, dürfte ziemlich naiv gewesen sein und sieht sich nunmehr zunehmend enttäuscht. Deshalb hört man inzwischen von verschiedenen Leuten auch des Öfteren nostalgische Gedanken, indem sie fast schon wehmütig klagen, zu DDR-Zeiten wären sie zwar in mancherlei Hinsicht ärmer und dennoch glücklicher gewesen. Man muss das gewiss nicht überbewerten. Doch ernst nehmen sollte man es durchaus. Sicherlich gibt es zwischen Ost und West auch ein unterschiedliches Gerechtigkeitsempfinden.
Mithin bleibt es unabdingbar, relativ gleichwertige Lebensverhältnisse anzustreben, um den sozialen Frieden
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