Das Elbmonster (German Edition)
Bild sich während der betreffenden Szene wohl für immer unauslöschlich in meinen Hirnzellen einbrannte:
Mir gegenüber stand nämlich fast schlagartig nicht mehr Abel, jener ausnehmend liebenswürdige Jüngling, den ich genau dreizehn Tage zuvor kennenlernte und der mir von der ersten Stunde an sehr zugetan war und es auch fernerhin blieb (mit Ausnahme seines damals wie heute unerklärlichen Orakels).
Vielmehr befand ich mich jählings in der schicksalhaften Magie eines furchterregend dreinblickenden und demgemäß regelrecht unheildrohenden Halbwüchsigen, der offenbar selbst nicht wusste, was mit ihm geschah. Für einen Moment hatte ich das Empfinden, als hätte er sich abrupt in eine völlig andere Person verwandelt oder sogar flüchtig die Gestalt vom Leibhaftigen angenommen.
Des Teufels Bildnis war mir ja aus früheren Kindheitstagen noch fast taufrisch im Bewusstsein: Ein rot-schwarz behaartes, zweibeiniges Geschöpf in Mannesgröße, dazu mit Hörnern, Klumpfüßen oder Hufen und gruselig funkelnden Augen versehen. Zwar habe ich ein solches Höllenmonster niemals lebend zu Gesicht bekommen, dessen vermeintliche Existenz und grenzenlose Boshaftigkeit wurden uns Sprösslingen jedoch oft genug in Wort und Bild veranschaulicht. Derartiges bleibt natürlich im Gedächtnis haften. Dafür sorgt nicht zuletzt unsere kindliche Fantasie, mag sie zuweilen auch noch so verschrobene Blüten treiben.
Abels urplötzlich verändertes Antlitz, in das ich vollkommen fassungslos blickte, war hingegen echt und kein Hirngespinst.
Und genau diesem überaus rätselhaften Phänomen werden wir im Verlauf meiner Erzählung noch mehrfach begegnen. Darum sollten wir es in unserem Oberstübchen fest verankern!
Im Übrigen weiß ich auch nicht, ob die drei Verbrecher jemals dingfest gemacht und ihrer gerechten Strafe zugeführt werden konnten. Aber das Drama, welches durch sie ausgelöst wurde, setzte sich bereits am nächsten Tag fort. Zu groß waren die seelische Erschütterung und das Leid der unmittelbar davon Betroffenen, als dass sie es vielleicht noch halbwegs verkraftet hätten. Abels Großvater bekam einen schweren Herzinfarkt, dem er kurz darauf erlag. Er und die beiden getöteten Angehörigen wurden auf dem städtischen Friedhof zu Pirna feierlich beigesetzt. Seine Frau, die uns bis dahin als ausgesprochen resolut erschien, drehte sichtlich durch und verfiel unaufhaltsam dem Wahnsinn. Sie wurde in die Nervenheilanstalt nach Arnsdorf bei Dresden gebracht, wo sie nach fünf Monaten verstarb.
Lediglich ihr Nachkomme Abel, der während jenes verhängnisvollen Geschehens genau elfeinhalb Jahre alt war, und sein jüngerer Bruder Peter überstanden das Grauen relativ schnell und obendrein fast unbeschadet, was uns natürlich nicht nur höchst angenehm überraschte, sondern gleichermaßen erfreute. Dem Anschein nach glaubten und hofften wir jedenfalls inständig, es wäre und bliebe so. Ach, was waren wir glücklich darüber, dass wenigstens die beiden Jungen eine Zukunft hatten, obgleich niemand wusste, welche es sein wird.
Da sie infolge der barbarischen Heimsuchung in Pirna urplötzlich überhaupt keine Familienangehörigen mehr besaßen, entschlossen sich meine Eltern ohne viel Federlesens, die verwaisten Knaben unter ihre Obhut zu nehmen. Sie meinten, wo mehrere Kinder halbwegs satt werden, käme es auf eins oder zwei zusätzlich auch nicht mehr an. Außerdem hatten sie die auffallend sympathischen Burschen längst fest in ihr Herz geschlossen. Den Ausschlag für ihre kennzeichnende Entscheidung dürfte indessen nicht zuletzt das freundschaftliche Verhältnis zwischen Abel und mir gegeben haben, was ihnen natürlich nicht entging. Außerdem wollten sie die schon unsäglich leidenden Brüder nicht auch noch auseinanderreißen. Sonach fanden beide in unserer Familie neue Geborgenheit.
7
Sie, meine verehrten Bücherfreunde, werden mir gewiss zustimmen, dass jene dramatischen Geschehnisse die künftige Daseinsreise unseres rätselhaften Weggefährten Abel auf eine ungeheuer harte Probe stellten. Doch wie verblüffend es einstweilen auch klingen mag, ihn konnte für eine erstaunlich lange Zeit nichts aus der üblichen Laufbahn werfen. Stattdessen sollte er noch mehrfach schlimme Unwägbarkeiten erleiden, bis sein Geduldsfaden endgültig riss. Es musste also obendrein manch außergewöhnlich Gravierendes passieren, ehe sich bei ihm schlagartig eine charakterliche Wandlung vollzog.
Was folgte im Verlaufe
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