Das Elbmonster (German Edition)
Geschichte, die sich wie folgt entwickelte:
Die plötzlich um zwei Personen verstärkte Familie meiner Eltern wurde jedenfalls ohne langes Brimborium sächsischen Behörden überantwortet. Sonach kamen wir zunächst nach Meißen, wo uns für weitere vierzehn Tage ein bereits vertrautes Lagerleben blühte. Es war im einstigen „Alberthof“. Von dort wurden wir dann mit einem Pferdefuhrwerk des Großbauern Hagedorn abgeholt und nach einer ungefähr zwölf Kilometer langen Fahrt in einem Seitengebäude seines Gutes in der Nähe von Lommatzsch untergebracht.
Anfangs wimmelte es zwar vor Ratten und Wanzen in den äußerst bescheidenen Gesindestuben, aber wir hatten endlich eine feste Bleibe.
Die vierbeinigen Allesfresser kamen uns vereinzelt schon früher zu Gesicht, mit den „Wandleusen“ hingegen schlossen wir erstmals Bekanntschaft, und die war äußerst unangenehm. Tagsüber hatten sie in den Ritzen der unverputzten Bretter an den Zimmerdecken ihr Versteck. Doch nachts ließen sie sich auf unsere teils nackten Körperpartien fallen, wo sie unentwegt hin und her liefen, bis sie eine Stelle fanden, an der sie stechend und saugend ihren Durst nach frischem Blut stillen konnten. Wahrlich ein ekliges Viehzeug! Allein wenn ich daran denke, wie sie uns ständig gepiesackt haben, schüttelt es mich jetzt noch vor Schauder.
Die Nagetiere wiederum kamen am Obstspalier, welches an einer Außenwand des Hauses befestigt war, bis zu uns in das erste Stockwerk hochgekrochen, damit sie ihren unersättlichen Appetit auch noch an den wenigen Speisevorräten stillen konnten, die wir uns hin und wieder für ein paar Tage anzulegen vermochten. Jedenfalls hatten wir arg zu tun, uns das widerwärtige Ungeziefer einigermaßen vom Leibe zu halten.
Davon will ich hier wenigstens eine kleine Episode zum Besten geben:
Während einer lauen Sommernacht versank ich auf meinem Ruhelager unbekümmert in einen erholsamen Schlaf. Mein Körper war fasernackt, nur von einem leichten Tuch bedeckt. Ich lag auf dem Rücken und genoss fabelhafte Szenen eines überwältigenden Traumes. Klarer Mondschein erleuchtete den Raum, in dem auch das Bett meines um vier Jahre älteren Bruders stand. Aber es war noch nicht belegt. Ich befand mich also allein im Zimmer.
Eine höchst merkwürdige Berührung riss mich urplötzlich aus Morpheus’ Armen. Hellwach blickte ich gefühlsmäßig auf meinen Unterleib und sah, wie sich eine große Ratte denkbar langsam kriechend in Richtung meines Gesichtes bewegte. Ich spürte förmlich jeden Schritt ihrer kurzen Beine. Gebannt schaute ich auf das Nagetier, dessen lautloses Heranschleichen mir wie eine Ewigkeit erschien. Ich war regelrecht gelähmt, vollkommen außerstande, mich auf irgendeine Weise zu rühren. Indessen kroch das unberechenbare Biest immer näher zu meinem Mund. Endlich löste sich meine Verkrampfung, und ich schleuderte sekundenschnell die Decke nach oben, worauf die vierfüßige Bestie mit Karacho durch das offene Fenster entwich.
Auch wenn mich das Vieh wohl kaum angeknabbert hätte, bleibt dennoch dieser Vorfall fest in meiner Erinnerung haften, mutmaßlich wegen meiner kurzzeitigen Versteinerung. Seither verstehe ich das Gleichnis vom Frosch und der Schlange.
Zu jener Zeit, konkret von September 1948 bis Juli 1951, durften Abel und ich über eine Grundschule, die sich im übernächsten Dorf befand, selbst erfahren, was es heißt, innerhalb von nur drei Jahren hintereinander insgesamt acht Klassenstufen zu durchlaufen (von der ersten bis zur sechsten brauchten wir allerdings lediglich zehn Monate). Trotz des ungewöhnlichen Schweinsgalopps konnte ich die Elementarbildung mit der Note „Gut“ abschließen und Abel sogar mit „Auszeichnung“.
Warum wir anfänglich für mehrere Stunden in die erste Klasse gerieten, obwohl wir in Ungarn bereits die fünfte besucht hatten, war einer ulkigen Bewandtnis geschuldet, die sich wie folgt zutrug:
Am Tag des Schulbeginns befanden wir uns zum Auftakt regulär im sechsten Jahrgang. Der Klassenlehrer stellte uns nach seiner allgemeinen Begrüßung als Neuzugänge der Schülerschaft vor und forderte mich gleich danach auf, ich solle doch meinen Rufnamen an die Tafel schreiben, indem er laut und deutlich sagte: „Károly heißt auf Deutsch Karl.“ Ich folgte seiner Aufforderung, spürte den Klang meines aufgedrückten neuen Vornamens, den ich zum ersten Mal so vernahm, noch einigermaßen im Ohr und schrieb prompt „Kharl“. Damit bewirkte ich
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