Das Elbmonster (German Edition)
unwillkürlich ein herzhaftes Gelächter. Nachdem sich die Schüler wieder halbwegs beruhigt hatten, meinte der auffallend nobel gekleidete Pauker vorwurfsvoll belehrend: „Junge, du kannst ja nicht einmal deinen eigenen Namen richtig schreiben. Also gehörst du zu den Abc-Schützen in die erste Klasse. Dort wird man dir wohl eingangs unser Alphabet gründlich beibringen müssen. Das gilt auch für Abel!“
Wahrscheinlich war er schon allein nach der irritierenden Episode fest davon überzeugt, dass wir beide noch saudumm wären. Ergo befanden wir uns kurz darauf in der besagten Klasse, wo wir erst recht wie direkt aus dem Urwald kommend empfangen wurden.
Unsere Eltern waren ob des unbegreiflichen Geschehens entsetzt, und der Vater kümmerte sich auch postwendend darum, indem er persönlich beim Schulleiter vorsprach.
Anschließend durften wir zunächst in das vierte und zwei Monate darauf ins sechste Schuljahr aufrücken. Endlich befanden wir uns unter gleichaltrigen Mädchen und Jungen, was uns besonders motivierte, fleißig zu lernen.
Das merkwürdige Zwischenspiel machte natürlich rasant die Schulrunde, worauf ich noch manch freches Gespött erdulden musste. Aber echt schmerzhaft empfand ich die einschlägigen Lästerungen gottlob niemals. Meinen Vornamen durfte ich übrigens originalgetreu behalten, nachdem eine zuständige Behörde die Geburtsurkunde sichtete und sich dafür entschied (Aussprache: Karoj für Károly und Kartschi für den Kosenamen Karcsi).
Des Weiteren hatten Abel und ich am selben Ort ein geradezu einschneidendes Erlebnis, das ich nachstehend meinen verehrten Lesern deshalb übermittle, weil ich schon seit Langem vermute, es könnte während der Übergangsphase vom Kind zum Jugendlichen der maßgebliche Auslöser für unsere weitere Laufbahn in weltanschaulicher Hinsicht gewesen sein. Hundertprozentig sicher bin ich mir darin allerdings bis zum heutigen Tage nicht. Und es wird wohl auch fernerhin beim ungeklärten Fragezeichen bleiben.
Hier die markante Begebenheit, welche sich wie folgt ereignete:
Gegen Ende Juni 1950 fand an der erwähnten Lehrstätte, wo wir nach unserer gewaltsamen Vertreibung aus Ungarn die ersten deutschsprachigen Unterweisungen erhielten, das traditionelle Schulsportfest statt.
Herrlicher Sonnenschein kündete allenthalben von einer himmlischen Wohltat, wie ich mich noch bestens erinnere. Schon der Morgen putzte sich festlich heraus, denn die Vögel sangen bereits im Frühtau nahezu konzertant ihre überaus faszinierenden und daher beflügelnden Lieder. Obendrein lockten und verführten unzählige Pflanzen mit ihren bezaubernden Düften mancherlei Lebewesen wiederholt zum überwältigenden Sinnesrausch, darunter gewiss auch gotterkorene Denkgeschöpfe. Wir Kinder jauchzten und frohlockten auf dem Wege zum Platz der bevorstehenden fairen Kämpfe, als gehörte uns die ganze Welt. Ich war wirklich voller Optimismus, zumal mich eigene körperliche Herausforderungen seit eh und je begeistern konnten. Was sollte denn an einem derart wunderschönen Tage schieflaufen?
Ich zählte gut dreizehneinhalb Lenze. Vielleicht war mir bis anhin eine gewisse Portion kerniges Naturtalent eigen. Jedenfalls siegte ich prompt in drei Disziplinen (Weitsprung, 100-Meter-Lauf und Schlagballweitwurf). Bereits kurze Zeit später wurde ich während eines feierlichen Fahnenappells zum „Schulmeister“ gekürt. Als Prämie erhielt ich gleich vier Bücher hintereinander, für jede gewonnene Sportart eines sowie ein besonders starkes Exemplar mit der Auszeichnung als „Gesamtsieger“. Selbstredend nahm ich den großen Schatz, wie ich glaubte, voller Stolz entgegen.
Abel, mit dem ich mich ja in derselben Klassenstufe befand, war übrigens auf sportlichem Gebiet selten so gut drauf wie ich, dafür mir aber geistig fortwährend überlegen.
Und nun vernehmen wir bald das eigentliche Drama.
Überhaupt nichts Schlimmes ahnend, machte ich mich gemeinsam mit meinen schulpflichtigen Geschwistern erhobenen Hauptes spornstreichs auf den Heimweg, um die lieben Eltern mit einer vermeintlich guten Botschaft zu erfreuen. Es war am frühen Nachmittag. Während sich unser Vater noch auf Arbeit befand, reichte uns die herzensgute Mutter das bereits fertige Essen, und wir genossen den kärglichen Schmaus. Gleich darauf präsentierte ich ihr im Beisein Abels strahlend meine jüngste Errungenschaft. Sie nahm jedes Buch einzeln und sehr behutsam in ihre Hände, prüfte gründlich deren
Weitere Kostenlose Bücher