Das Elbmonster (German Edition)
möge, auf mich bezogen, sei hier ausdrücklich betont: Ich konnte und wollte es niemals allen recht tun! Das wird mit absoluter Sicherheit auch fernerhin so bleiben!
Apropos Freya Klier:
Gleichsam als solidarische Bestätigung ihrer hartnäckigen Sicht auf erlittenes Unrecht erwies sich die Dankesrede des chinesischen Literaten Liao Yiwu nach seiner Auszeichnung mit dem Friedenspreis zum Abschluss der Frankfurter Buchmesse am 14. Oktober 2012. Auch er vermag seine heftige Abneigung gegenüber dem Regime in seiner einstigen Heimat nicht zu bezähmen (war dort vier Jahre in Haft, lebt jetzt als Exilant in Deutschland). Seine ungestüme Anklage jener Verhältnisse (übrigens auch der einschlägigen Profiteure des Westens) zeugt von schicksalhafter Verbitterung. Offenbar kann er nicht verzeihen, was ihm einst von überaus brutal Herrschenden angetan wurde. Ja, wir Menschen sind manchmal so.
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Für passend aufschlussreich erachte ich indessen das weitere Verhalten meines Vaters zur erwähnten Problematik, welches sich wie folgt entwickelte:
Er stand zwar der neuartigen Orientierung seiner zwei mittleren Söhne in weltanschaulicher Hinsicht anfangs ziemlich skeptisch gegenüber, machte uns jedoch keinerlei Vorwürfe. Im Gegenteil: Schon bald nach jener dramatischen Szene vom Juni 1950 nahm er uns bedachtsam zur Seite und sagte mit entgegenkommendem Gesichtsausdruck: „Ihr beiden habt jetzt das Alter und die Erfahrung, selbst zu entscheiden, was für euch richtig ist. Ich will euch künftig nicht mehr hineinreden. Falls ihr meine Hilfe braucht, stehe ich euch selbstverständlich jederzeit zur Verfügung. Aber bevormunden werde ich euch fortan nicht mehr. Das sollt ihr wissen. Ich hoffe nur, dass ihr einen edlen Pfad des Lebens wählt und es niemals bereut. Achtet streng darauf, euch unter keinen Umständen selbstherrlich über andere zu erheben, denn Hochmut kommt vor dem Fall! In diesem Sinne wünsche ich euch alles erdenklich Gute und Schöne für eure Zukunft!“, lautete seine warmherzige Äußerung.
Derart erhabene Augenblicke würden sich gewiss bei jedem von uns für immer unauslöschlich im Bewusstsein einprägen, so natürlicherweise auch bei Abel und mir.
Dem Vater blieben wir übrigens für seine gütigen Worte fortwährend dankbar verbunden und der Mutter sowieso, zumal wir deren unmittelbaren Einflussnahme bereits mit vierzehn Jahren entglitten, indem wir uns in Meißen gemeinsam ein möbliertes Zimmer nahmen, weil 1951 unsere Lehrausbildung begann (neunte und zehnte Klassen gab es damals an den üblichen Schulen noch nicht). Es war unsere feste Absicht, so schnell wie irgend möglich eigenes Geld zu verdienen, wohl nicht zuletzt auch deshalb, um das ohnehin permanent dürftige Familienbudget zu entlasten.
Ob mein einstiger Entschluss, beruflich eine andere Richtung einzuschlagen als von meinen lieben Eltern erhofft, richtig war, vermag ich aus heutiger Perspektive nicht zweifelsfrei zu beantworten. Eine gewisse Ironie des Schicksals ist freilich nicht zu leugnen. Vielleicht fände ich jetzt mehr innere Ruhe und Gelassenheit. Ich weiß es nicht. Doch allein die gedankliche Vorstellung, dass ich mich weder an eigenen Kindern noch Enkeln erfreuen könnte (und dieser zutiefst inhumane Auftrag soll gottgewollt sein?), hätte mich wohl eher zu einem rebellischen anstatt zum friedfertigen Hirten und Vermittler der althergebrachten Glaubensrichtung gedrängt.
Wenn ich zudem seit der Wiedervereinigung beider deutscher Staaten schon mehrfach die offizielle Forderung vernehmen musste, die Lehre Jesu müsste noch konsequenter durchgesetzt werden, vor allem in den Schulen, und unsere einstige Bundesfamilienministerin, die fraglos achtbare Ursula von der Leyen, zuerst speziell mit den beiden Amtskirchen ein „Bündnis für Erziehung“ schloss, so kamen mir postwendend gewisse Bedenken hinsichtlich unseres Demokratieverständnisses.
Verfügen ausschließlich Christen über fundierte Werte und Normen für eine humanistische Bildung und sittliche Unterweisung der Jugend, frage ich zunehmend besorgt. Könnten und müssten nicht gleichermaßen auch Juden, Moslems und selbstredend Atheisten sinnträchtige Orientierungshilfen einbringen? Ferner gebe ich zu bedenken, dass rund achtzig Prozent der Bevölkerung in den neuen Bundesländern überhaupt keiner religiösen Gemeinschaft angehören. Haben sie die vorausgegangene Diktatur lediglich abgeschüttelt, um sich fortan zusehends
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