Das elektronische Glück
Handgelenk legen. Arsik stellte die Anlage ein und drehte mir die Okulare zu.
»Setz dich und sieh selbst«, sagte er.
2
Anfangs sah ich einen gelben Raum – gelber konnte ich mir keinen vorstellen. Einen unbegrenzten Raum, aus dem nach einigen Sekunden geschweifte grüne Sterne auftauchten, die Schleierschwänzen ähnelten. Sie suchten ihren Platz und verteilten sich in dem gelben Raum. Und der Inhalt des Raums veränderte sich, wurde allmählich dichter, reifer, er erbebte und trieb die kleinen Fischlein zu ihren glücklichen Punkten.
Warum bezeichne ich die Punkte als glücklich? Wohl nur deshalb, weil ich mit einem mir unverständlichen, leidenschaftlichen Verlangen ersehnte, daß die Bewegungen der grünen Sternchen einen glücklichen Ausgang nähmen.
Ich fühlte, daß es in der gelben Welt, die sich mir eröffnet hatte, einen fröhlichen Verbund geschweifter Fischlein geben mußte, die einzig mögliche harmonische Anordnung von Punkten – und ich lenkte sie mit meinen Gedanken dorthin, und als sie alle, mit den grünlichen Schleiern wedelnd, in dem Raum ihren Platz eingenommen hatten, hörte ich Musik. Es war ein Walzer auf einer Geige. Weniawskis Phantasie zu Themen aus Gounods »Margarete«, wie ich viel später erfuhr – damals kannte ich diese Musik nicht. Und meine Sternchen zerstoben zu Funken und verblaßten, weil ich seltsamerweise Tränen in meinen Augen spürte. Was war das? Ich war nicht mehr da, Ach war aufgelöst in diesem Raum, und nur der leise Pulsschlag an der Folienmanschette drang aus der wirklichen Welt zu mir.
Dann bildeten sich drei Linien: eine smaragdene, dichte, feine, eine lindgrüne, durchsichtige und eine blasse, die einer Lichtsäule ähnelte. Sie bewegten sich ebenfalls, kreuzten sich, schufen dabei unvorstellbare Farbverbindungen, bis sie übereinanderlagen, und da veränderte sich die Musik, und in dem Raum zeichnete sich das Gesicht ab, das ich schon zehn Jahre lang verdrängt hatte – die Augen geschlossen, Schmerz und Glück ausdrückend, dazu Mozart, drittes Violinkonzert, zweiter Satz.
Mozart war auch später, viel später in mein Leben gekommen.
Doch ich jagte durch den Raum schon neue Bilder, trieb sie durch den nervösen Rhythmus meines Pulsschlags an und spürte, wie sich von meinem Herzen eine dünne, harte Kruste löste – das tat weh.
Vor allem gab es keine Zeit mehr. Die Sekunden fielen auf einen Punkt wie Tropfen, und dieser Punkt war in mir, aus irgendeinem Grunde hinter der Zunge, in der Kehle.
Ein Krampf in der Kehle, zehn Jahre meines Lebens.
Etwas klickte, und ich war nicht mehr da.
Langsam wurde mir bewußt, daß ich lebte. Ich saß auf einem Stuhl in meinem Labor, ein Bein war von der unbequemen Haltung eingeschlafen, ich wandte mich von den Okularen ab und sah Arsiks Gesicht. Draußen war es dunkel.
Arsik lächelte schuldbewußt.
»Für den Anfang ist es genug«, sagte er. »Das wird dir zu schwer.«
»Ich will noch mehr«, verlangte ich wie ein Kind, dem man das Spielzeug weggenommen hat.
Arsik beugte sich zu mir, packte mich an der Schulter und schüttelte mich. Das half. Ich atmete tief und bemerkte noch mehr Dinge im Labor: die staubigen unaufgeräumten Regale voller Geräte, den eisernen Rahmen in der Ecke und den akkuraten Schreibtisch von Ignati Semjonowitsch.
»Wie machst du das?« fragte ich.
»Ich weiß es nicht«, antwortete Arsik. »Jeder macht das selbst. Es ist nicht gut, daß sie die Anlage selbständig benutzen.«
»Wer?«
»Schurotschka und Katja… Sie sind sehr verliebt.«
»In wen?« fragte ich törichterweise.
»Katja in dich«, sagte Arsik.
Zwei Stunden zuvor hätte ich auf eine solche Mitteilung mit Zorn oder Spott reagiert. Oder mit beiden zugleich. Jetzt spürte ich Entsetzen.
»Was soll nun werden?« fragte ich hilflos.
»Geh nach Hause«, sagte Arsik. »Was kommen soll, kommt sowieso.«
Nachts träumte ich von gelbgrünen Feldern mit blauen Schmetterlingen. Und von Katjas Gesicht, doch das war nicht Katja, sondern das ferne Mädchen meiner Jugend, mit der ich… Nein, das wäre eine zu lange Geschichte.
Ich wachte früh auf, und im Bett versuchte ich mir einzureden, es wäre nichts Besonderes geschehen. Meine Nerven drehen durch. Kein Wunder, nichts läuft so, wie es sollte. Keine Ergebnisse, die Zeit vergeht, und nun noch eine uneingeplante Liebe.
Ich fürchtete mich, zur Arbeit zu gehen. Ich fürchtete eine Begegnung mit Katja.
Katja ist zehn Jahre
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