Das elektronische Glück
stürzte hinaus, das Gesicht mit den Händen verbergend. Ich konnte noch sehen, daß ihre Augen voller Tränen waren und daß ihr die Wimperntusche in schmutzigen Rinnsalen über die Wangen lief.
»Was ist passiert?« fragte ich Schurotschka.
»Nichts!« antwortete sie gereizt. »Das geht Sie nichts an.«
»Alles, was im Labor während der Arbeitszeit geschieht, geht mich etwas an. Wenn ich irgendwie helfen kann oder mein Eingreifen nötig ist…«
»Ihr Eingreifen ist unbedingt erforderlich«, ließ sich Ignati Semjonowitsch vernehmen.
Arsik riß sich von den Okularen los und fragte: »Ignati Semjonowitsch, wollen Sie nicht sehen?«
Der Alte zuckte erschrocken zusammen, fuchtelte mit den Armen und schrie: »Ich will nicht! Ich verspüre nicht das geringste Verlangen! Befassen Sie sich allein mit diesen Dummheiten! Verderben Sie nur die Jugend!«
»Na, na, nun schon Jugendverderber«, sagte Arsik gutmütig.
»Vielleicht darf ich erfahren, was hier vorgeht?« fragte ich mit stiller Wut.
»Gescha, alles ist okay!« erwiderte Arsik.
Schurotschka ging hinaus, um Katja zu beruhigen, und ich machte mich daran, mein Schema zu überprüfen. Das ließ mich das Geschehene vergessen. Aber nicht für lange. Nach einer halben Stunde kam Katja mit gewaschenem Gesicht zurück. Unter den Augen hatte die rote Flecken. Als sie an Arsik vorbeiging, flüsterte sie: »Das verzeihe ich dir nie!«
»Katjenka, nicht doch!« flehte Arsik. »Das vergeht.«
»Ich will nicht, daß es vergeht«, sagte Katja hart.
Ich tat, als hörte ich nichts, obwohl ich verschiedene Vermutungen hegte. Dann gab ich den Laborantinnen betont kühl die nächste Aufgabe und versenkte mich in die Arbeit.
Kurz darauf erschien Tatjana Pawlowna Sisowa, die wissenschaftliche Sekretärin des Instituts, und verlangte die üblichen Pläne und Berichte. Unter anderem fragte sie, wann Arsik promovieren würde.
»Nie!« sagte Arsik.
»Wenn die Arbeit fertig ist«, meinte ich achselzuckend. »Eine Idee hat er schon, 6r braucht sie nur in die richtige Form zu bringen.«
»Und das ist in der Wissenschaft die Hauptsache«, bemerkte Ignati Semjonowitsch lehrerhaft, während er Zahlen in ein Heft schrieb. »Jaja! Keine schwindelerregenden Ideen, sondern harte Alltagsarbeit.«
Und er preßte die Lippen zusammen.
»Was können Sie über meine Arbeit wissen?« begann Arsik langsam, während er sich auf dem Stuhl zu Ignati Semjonowitsch umdrehte. »Haben Sie sich schon einmal über etwas gewundert? Haben Sie wenigstens ein einziges Mal über die Unvollkommenheit der Welt und Ihre eigene Unvollkommen heit geweint? In unserem Inneren ist Musik und Licht. Haben Sie sich jemals bemüht, das zu erkennen?«
Ich befürchtete, Arsik würde wieder den Narren spielen. Doch er sprach leise und ernst. Tatjana Pawlowna versteinerte, während sie auf Arsiks Lippen blickte. Der Alte setzte sich aufrecht hin und erblaßte, aber, er versuchte nicht, etwas zu entgegnen. Und Arsik fuhr in seiner Rede fort, als läse er einen Predigttext: »Wir reden ständig vom Fortschritt. Wir vergrößern den Bestand an Maschinen und produzieren bedrucktes Papier. Und die Musik in uns wird immer dumpfer, und unser Licht verlischt. Wir tauschen Informationen aus, kaufen und verkaufen sie, bringen sie auf Datenbanken, aber in die Herzen vorzudringen vermögen wir nicht. Warum soll ich alles auf der Welt wissen, wenn ich die Hauptsache nicht kenne – meine Seele – und nicht verstehe, frei zu sein? Wenn ich mein Gewissen vergessen habe, und mein Gewissen hat mich vergessen? Es sollte nur eine Wissenschaft geben – die Wissenschaft vom Glück. Andere brauchen wir nicht…«
»Ich verstehe nicht ganz«, sagte Ignati Semjonowitsch.
»Nun, ich gehe«, lispelte Tatjana Pawlowna und entfernte sich auf Zehenspitzen.
»Entschuldigt mich«, sagte Arsik und ging ebenfalls hinaus. Schurotschka, die an der Tür gestanden und Arsik zugehört hatte, folgte ihm. Katja biß sich auf die Lippen und verließ in unnatürlich aufrechter Haltung das Labor. Es blieben nur Ignati Semjonowitsch und ich.
»Er ist völlig außer Rand und Band«, sagte der Alte. »Zeigt den Mädchen seine Bilder. Er selber guckt sie tagelang an… Das ist doch Quatsch, was er von sich gegeben hat!«
Ich ging zu Arsiks Anlage. Auf der Tafel befand sich ein Schalter mit einer Skala. Neben jedem Strich war mit ungelenker Hand ein Zeichen gemalt. Ein pfeildurchbohrtes Herz, ein
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