Das Elfenportal
Blue. »Ich will meinen Vater sehen!«
Irgendetwas in ihrer Stimme brachte ihn dazu, zur Seite zu treten. »Wie Ihr wünscht, Durchlaucht. Aber es wäre besser – «
Da hatte sie sich bereits an ihm vorbeigeschoben. Ohne einen Moment zu zögern folgte Henry ihr.
Er betrat einen großen Raum voller kostbarer Möbel, dann fiel sein Blick auf den Toten. Der Großteil des Gesichtes war weggerissen worden, wie von einer aus unmittelbarer Nähe abgefeuerten Schrotflinte. Blutgeruch erfüllte den Raum. Auf dem Teppich hatte sich eine rote Lache gebildet.
»Papa, nein!«, weinte Blue. Sie machte einen Schritt nach vorn. »Papa, Papa, neeiiiiiin!«
Henry fing sie auf, als sie in Ohnmacht fiel.
Dreissig
E ine plumpe, ältere Frau in der Tracht einer Dienstmagd drängte Henry hinaus. »Wird schon wieder auf die Beine kommen, das arme Ding – die Ärzte kümmern sich um sie. Aber solch ein Schock…« Sie spitzte kurz die Lippen, die Augen voller Tränen, dann wandte sie ihre Aufmerksamkeit wieder Henry zu. »Nun, junger Herr, ich habe Sie noch nie gesehen und weiß darum Ihren Namen nicht.«
»Henry«, sagte Henry dumpf. Er stand selbst unter Schock. Er hatte zum ersten Mal einen Toten gesehen, und dieses übel zugerichtete Gesicht hätte aus einem Horrorfilm stammen können. Nur wäre ihm in einem Horrorfilm der Geruch erspart geblieben.
»Oh, wie der Herzog von Burgund«, sagte die Frau. Sie rang sich ein leichtes, verschwörerisches Lächeln ab. »Nur dass Sie mit der Nachtseite wohl nichts zu schaffen haben, oder?«
»Nein«, sagte Henry rasch, obwohl er nicht die geringste Ahnung hatte, wovon sie sprach.
»Ich bin Haushaltungsvorsteherin Umber«, sagte die Frau. »Werden Sie im Palast bleiben, junger Herr?«
Dass die Lage so kompliziert würde, damit hatte er nicht gerechnet. Er holte tief Luft und sagte: »Ich denke schon.«
»Dann zeige ich Ihnen ein Gästezimmer. Ich bin froh, dass Sie bleiben. In einer Zeit wie dieser braucht sie ihre Freunde um sich herum.«
Das Gästezimmer war prachtvoll, um Klassen besser als sein Zimmer zu Hause, nur ein Bett fehlte.
»Verzeihen Sie, wenn Sie anderes gewohnt sind«, sagte Haushaltungsvorsteherin Umber eifrig. Sie sah Henry von Kopf bis Fuß an. »Dann kommen Sie vom Lande?«
Henry nickte. Er ging am besten nicht weiter auf seine Herkunft ein.
»Also, in der Garderobe finden Sie frische Kleidung, die sich im Palast eher geziemt – wühlen Sie einfach herum, bis Sie die richtige Größe finden, und wenn es irgendwelche Probleme gibt, dann rufen Sie mich. Unterwäsche ist in den Schubladen.« Sie schenkte ihm ein mütterliches Lächeln und ließ ihn allein.
Henry fand rasch den Grund heraus, warum es in diesem Zimmer kein Bett gab: Es befand sich nicht im Hauptraum, sondern in einem separaten Schlafzimmer. Davon wiederum ging ein Badezimmer ab, mit einer versenkten Badewanne darin, die eine (reichlich große) Miniaturausgabe derjenigen war, in der er Blue gesehen hatte. Am Rand standen irdene Töpfe aufgereiht, die offenbar mit Duftölen gefüllt waren. Er ging zurück ins Schlafzimmer und fand die Garderobe, die Umber erwähnt hatte. Sie war, wie versprochen, randvoll mit Kleidung in allen möglichen Größen. Er suchte sich eine grüne Weste und ein paar Hosen heraus, die einigermaßen passten, und wählte ein Paar weiche, grüne Schuhe. Als er sich im Spiegel betrachtete, hatte er das unheimliche Gefühl, ein wenig wie Pyrgus auszusehen, obwohl die Sachen nicht einmal denen ähnlich sahen, die Pyrgus trug. Vielleicht bedeutete es nur, dass er gut hierher passte, was ja gar nicht schlecht war.
Er öffnete eine andere Tür des Schlafzimmers und rechnete vage mit einer zweiten eingebauten Garderobe, aber dahinter lag ein kleines fensterloses Arbeitszimmer, das sich beim Öffnen der Tür auf geheimnisvolle Weise selbst erhellte. Er sah einen Schreibtisch, einen Stuhl und Wände voller Bücher. Ihm kam der Gedanke, dass er aus diesen Büchern eine Menge über Pyrgus’ Welt erfahren konnte, wenn er sich die Zeit nahm. Aber wahrscheinlich lernte er eine ganze Menge mehr, wenn er den Palast erforschte.
Henry ging ins Wohnzimmer zurück, öffnete die Tür zum Flur und sah hinaus.
»Ah, da sind Sie ja«, sagte Umber, und er machte einen Satz. Sie schien im Flur auf ihn gewartet zu haben. »Nun werden Sie etwas essen wollen, möchte ich wetten. Wenn Sie mir folgen würden – ich lasse Ihnen in der Küche etwas zurechtmachen.« Sie sah ihn anerkennend an, als
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