Das Elfenportal
nach mir geschickt?«
»Wegen Holly Blue«, sagte Tithonus. »Komm mit. Wir nehmen den langen Weg – ich habe dir einiges zu erzählen.«
»Was ist denn mit ihr?«, fragte Pyrgus rasch. Holly Blue Argiolus war seine Schwester. Von allen im Palast fehlte sie ihm am meisten, seit er nicht mehr dort wohnte. »Ist sie krank?«
»Im Gegenteil«, sagte Tithonus. »Aber sie spielt immer noch ihre alten Spielchen.«
Pyrgus ächzte. »Was hat sie Vater diesmal erzählt?«
»Dass du dich mit Lord Hairstreak überworfen hast. Trifft das zu?«
»Irgendwie schon«, sagte Pyrgus. Wie in aller Welt hatte sie das herausbekommen? Sie war ein Jahr jünger als er und doch hatte sie ein Netz von Informanten aufgebaut, um das sie der Kaiserliche Geheimdienst nur beneiden konnte.
»Wie darf ich ›irgendwie‹ in diesem Zusammenhang verstehen?«, fragte Tithonus.
»Er hat mich dabei erwischt, wie ich seinen goldenen Phönix gestohlen habe.«
Tithonus schloss die Augen, sagte »Du lieber Himmel!« und öffnete sie wieder. »Ich hatte gehofft, dass es nicht stimmt. Hast du eine Vorstellung von den Folgen?«
»Er hat ihn misshandelt!«, protestierte Pyrgus.
»Natürlich hat er ihn misshandelt. Wir reden von Lord Black Hairstreak. Der misshandelt sogar seine Mutter. Ich darf doch annehmen, dass du ihm die nicht auch noch gestohlen hast?«
Pyrgus musste gegen seinen Willen lächeln und schüttelte den Kopf.
»Was hast du mit dem Vogel getan?«, fragte Tithonus.
»Ihn fliegen lassen. Davor hab ich ihn gefüttert.«
Tithonus starrte ihn an, dann schüttelte er langsam den Kopf. »Davor hast du ihn gefüttert. Pyrgus, weißt du eigentlich, wie aufwändig es ist, einen goldenen Phönix zu fangen?«
»Nein.«
»Das dachte ich mir. Aber dass Hairstreak ein mächtiger Mann ist, das weißt du?«
»Das heißt noch lange nicht, dass er das Recht hat – «
»Erspare mir den Vortrag«, schnitt ihm Tithonus mit einem Seufzen das Wort ab. »Ich bin zufälligerweise mit dir einer Meinung, aber darum geht es hier nicht. Es geht darum, dass Black Hairstreak einem Adelsgeschlecht entstammt – «
»Er ist ein Nachtelf!«
»Er ist ein adeliger Nachtelf. Er hat beachtliche politische Verbindungen und noch größere politische Ambitionen. Er ist bereits der Wortführer dieser ganzen aufsässigen Brut.«
»Wie geht es eigentlich Comma?«, fragte Pyrgus. Er grinste. »Wo wir gerade von aufsässig sprechen.«
»Bitte versuch nicht, mich vom Thema abzubringen«, sagte Tithonus kühl. »Und vor allem nicht so plump. Comma ist Comma. Dein Stiefbruder leidet, soweit mir bekannt ist, an keiner tödlichen Krankheit, und mehr interessiert mich im Augenblick nicht. Wir sprachen über Hairstreak. Du hättest ihm seinen Vogel besser nicht gestohlen. Er sinnt auf Rache, was dich betrifft.«
»Damit komme ich alleine klar«, sagte Pyrgus selbstbewusst.
»Das wirst du zweifelsohne auch zu Seiner Majestät sagen.« Tithonus seufzte. »Pyrgus, ich denke, es ist allmählich an der Zeit, dass du begreifst, wer du bist. Du bist kein junger Söldner. Du bist auch nicht der Sohn irgendeines Händlers oder Handwerkers, ganz gleich wie gern du dich verkleidest. Du bist Seine Hoheit, der Kronprinz. Das bringt gewisse Verantwortlichkeiten mit sich, auch wenn du nicht mehr im Palast wohnst.«
»Es ist ernst, nicht?«
Tithonus nickte. »Der Zwist zwischen Lord Hairstreak und dir hat einige sehr heikle politische Verhandlungen gesprengt. Die meisten Leute dürften den Kronprinzen ohne seinen Putz nicht erkennen, aber Hairstreaks Männern bereitete das überhaupt keine Schwierigkeiten. Binnen einer Stunde wusste er genauestens über die Sache Bescheid. Er hat seinen Phönix nicht sonderlich gut behandelt, aber jetzt weiß er ihn einzusetzen. Er stellt Forderungen, die schwer zu erfüllen sein werden. Also lässt er nach dir suchen. So, wie die Umstände liegen, hat er sogar das Recht, dich festzunehmen, wenn er dich findet – dich festzunehmen und gefangen zu halten. Kannst du dir den Skandal vorstellen? Der Kronprinz im Gewahrsam eines Nachtelfen? Der Gedanke ist unerträglich. Dein Vater ist sehr, sehr aufgebracht.«
Pyrgus spürte, wie ihn der Mut verließ, was oft geschah, wenn das Gespräch auf seinen Vater kam. »Was hat er mit mir vor?«, fragte er.
»Mir ist es lieber, dass du das von ihm erfährst«, sagte Tithonus. »Ich habe sogar strikte Anweisungen, was das betrifft. Aber ich will dir einen Rat geben. Reg dich nicht auf, was immer auch
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