Das Elfenportal
keine Porträts, überhaupt keine Bilder. Die Wände waren glatt und schmucklos. Keine Ornamente, keine Paneele, nichts, das nach einem getarnten Schalter aussah. – Aussah? Klang! Eine der Stufen quietschte! Blue hatte es schon auf dem Weg nach oben bemerkt, und auch beim Hinunterrennen hatte die Stufe wieder gequietscht. Blue hatte dem natürlich kaum Beachtung geschenkt. Eine Menge Treppen und Dielen quietschten, erst recht in einem alten Haus wie diesem. Aber wenn es nun kein natürliches Quietschen war? Wenn es ein Zeichen war?
Holly Blue ging langsam wieder die Stufen hinunter. Sie konnte den Treppenabsatz immer noch sehen, als sie die quietschende Trittfläche erreichte. Sie trat ein paar Mal darauf, und jedes Mal hörte sie das Quietschen. Es war nicht so laut, dass es einem auffiel, aber laut genug, dass ein alter Mann es hören konnte. Wurde die Gaukelei damit ausgelöst? Schaltete man damit auf dem Weg nach oben die Dämonen ein? Oder waren die Dämonen immer da und das Quietschen bezeichnete nur die Stelle, an der man sie abschalten konnte?
Stirnrunzelnd versuchte Holly Blue die Logik zu durchschauen. Wenn das wirklich der Schalter war, dann konnte es nicht bloß eine Frage des Drucks auf die Trittfläche sein. Denn dann hätte sie auf dem Weg nach oben die Dämonen durchaus eingeschaltet haben können, beim Hinunterlaufen aber auch wieder aus. Oder hatte sie sie ausgeschaltet? Vielleicht hatte sie sie auf dem Weg nach unten aus- und auf dem zweiten Weg nach oben wieder eingeschaltet?
Nein, das passte alles nicht. Weil die Gaukelei so nicht zuverlässig genug wäre. Brimstone wollte sein Haus damit schließlich nachhaltig sichern. Also musste er dafür sorgen, dass seine Sicherheitszauber ausnahmslos funktionierten. Wenn das hier ein simpler Trittschalter war, dann war er wirkungslos bei jedem, der zwei Stufen auf einmal nahm. Blue runzelte die Stirn. Das konnte kein einfacher Trittschalter sein.
Sie dachte an das zwinkernde Porträt. Die Gaukelei verschwand, wenn man zurückblinzelte. Vielleicht… vielleicht… vielleicht verschwand die Koboldwache, wenn man zurückquietschte. Holly Blue trat auf die Stufe, damit sie quietschte, dann ahmte sie zur Antwort das Quietschen nach. Sie wartete ab, und als nichts geschah, ging sie weiter die Stufen hinauf. Die Tür auf dem zweiten Absatz stand immer noch offen, aber aus diesem Blickwinkel konnte sie nicht sehen, was dahinter lag. Sie musste das Risiko eingehen und mitten auf den Treppenabsatz treten.
Sie tat es schnell, bevor sie den Mut verlor. Die Bibliothek war leer.
Blue seufzte erleichtert. Obwohl sie Brimstone nie begegnet war, hatte sie sich inzwischen ein sehr genaues Bild von ihm gemacht. Er war ein gefährlicher und verschlagener alter Mann, der sich wenig darum scherte, was er jemandem antat. Pyrgus hatte Glück gehabt, mit heiler Haut davongekommen zu sein.
Aber sie wusste immer noch nicht, was zwischen den beiden vorgefallen war. Die Bibliothek war mit teilweise sehr seltenen Büchern über Zauberei, Hexenkunst, Nekromantie und Magie voll gestopft, aber obwohl Blue den Raum gründlich durchsuchte, fand sie nicht den geringsten Hinweis darauf, dass Brimstone ihren Bruder zu töten versucht hatte.
Sie verließ die Bibliothek und ging die Stufen zum dritten Stock hinauf. Diesmal gab sie sorgfältig Acht, ob etwas quietschte, und untersuchte jeden Fingerbreit nach weiteren Auslösern. Sie fand keine, war aber trotzdem die Vorsicht in Person, als sie den letzten Treppenabsatz erreichte. Er unterschied sich nicht von den anderen und erwies sich als totale Enttäuschung: Eine Tür führte in ein Badezimmer, die andere in ein Schlafzimmer. Soweit sie sah, gab es weder weitere Koboldwachen noch irgendwelche anderen Illusionen. Es sah ganz danach aus, als rechnete Brimstone fest damit, dass kein Eindringling je über den zweiten Stock hinauskam.
Aber über Pyrgus hatte sie immer noch nichts herausgefunden.
Zweiundzwanzig
P yrgus betrat eine erstickende Finsternis. Einen Moment lang glaubte er in eines der Portale geraten zu sein, die tief hinunter zum Meeresgrund führten. Dann begriff er, dass er nicht Wasser eingeatmet hatte, sondern schwere Luft, die mit etwas Schwefeligem vermischt war, das heftig in der Kehle brannte. Er stolperte mit ausgestreckten Armen vorwärts, bis seine Hände rauen Fels berührten, dann tastete er sich wild hustend weiter und suchte verzweifelt nach frischerer Luft.
Es schien eine Ewigkeit zu dauern, aber
Weitere Kostenlose Bücher